Sehr verehrter Herr Block!
Dürfte ich Sie um die große Liebenswürdigkeit
bitten, im Berliner Tageblatt, davon Notiz zu nehmenPaul Block, Feuilletonchef des „Berliner Tageblatt“, veröffentlichte die gewünschte Mitteilung sofort und kommentiere sie: „Der am meisten verbotene aller modernen Dichter, Frank Wedekind, wird Anfang Mai in einem Hoftheater zu Worte kommen. Sogar in doppeltem Sinne, als Dichter und als Schauspieler, da Wedekind in seinen zur Aufführung bestimmten Werken ‚Erdgeist‘ und ‚Marquis v. Keith‘ die männlichen Hauptrollen spielen soll. Mit ihm gastiert seine Gattin Tilly Wedekind. Es braucht natürlich kaum erst gesagt zu werden, daß dies Hoftheater, das so mutig für die moderne Dichtung eintritt, nicht das Berliner Hoftheater ist. Dem klugen und tatkräftigen Intendanten in Stuttgart, Baron v. Putlitz gebührt die Ehre eines Versuches, den nur Philister allzu kühn nennen können.“ [Frank Wedekind im Hoftheater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 125, 8.3.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)] Paul Block erinnerte einige Wochen darauf an diese Ankündigung und kündigte zugleich Auftritte im Dresdner Hoftheater an [vgl. Frank Wedekind wird hoftheaterfähig. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 210, 25.4.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)]., daß meine Frau Tilly und ich für Anfang
Mai zu einem achttägigen GastspielFrank und Tilly Wedekinds Gastspiel vom 6. bis 11.5.1912 am Königlichen Hoftheater in Stuttgart (Generalintendant: Joachim Gans zu Putlitz), bei dem „Erdgeist“ (Vorstellung am 6.5.1912) und „Marquis von Keith“ (Premiere: 9.5.1912, weitere Vorstellung am 11.5.1912) gespielt wurden. am Hoftheater in Stuttgart in Erdgeist und
Marquis von Keith engagiert sind.
Und nun zur Hauptsache. Als sich Heinrich
Lautensacks Heimliches TheaterHeinrich Lautensack hatte in einem Artikel in der Zeitschrift „Die Aktion“, dessen Bedeutung der Herausgeber Franz Pfemfert nachdrücklich unterstrich und der eine rege Diskussion nach sich zog, zur Umgehung der Zensur das Projekt eines ‚Heimlichen Theaters‘ (Veranstaltung von geschlossene Vorstellungen vor geladenem Publikum) und als erstes der aufzuführenden Stücke Wedekinds „Totentanz“ vorgeschlagen [vgl. Heinrich Lautensack: Das Heimliche Theater. Ein Weg zur Überwindung des Zensors. In: Die Aktion, Jg. 2, Nr. 4, 22.1.1912, Sp. 97-100]. Gleichzeitig mit den Auftakt in der „Aktion“ hat das „Berliner Tageblatt“ skeptisch bis wohlwollend über die Aktion in der „Aktion“ berichtet [vgl. Das „Heimliche Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 39, 20.1.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)], die Diskussion um das Projekt weiter verfolgt, indem es Stellungnahmen nachdruckte, etwa die von Maximilian Harden [vgl. Das „heimliche Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 58, 1.2.1912, Abend-Ausgabe, S. (2)]. Eine Kundgebung zu dem Vorhaben am 26.2.1912 in Berlin, bei der Heinrich Lautensack und Alfred Kerr sprachen, fand nur verhaltene Resonanz. „Das heimliche Theater, eine Überwindung der Bühnenzensur ‒ unter dieser Devise war gestern eine Versammlung einberufen, die gleichzeitig gegen die Zensur protestieren sollte. Nicht allzu viele Neugierige hatten sich zu diesem Protest in dem großen Saal eingefunden.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 107, 28.2.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Otto Brahm hatte für die Aufführung von „Totentanz“ im Rahmen des Heimlichen Theaters das Lessingtheater angeboten. Als Termin war zuerst der 6.3.1912, zuletzt der 30.3.1912 im Gespräch. Eine Aufführung kam nicht zustande, da das Projekt sich zerschlug. wegen der Besetzung meines Einakters „Tod | und
Teufel“ an mich wandte, bat ich die Herrendarunter Heinrich Lautensack, der das Heimliche Theater initiiert hat (siehe oben)., wenn irgend möglich Frau Rosa
BertensRosa Bertens, gastierende Schauspielerin in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 213], war seit dem 16.8.1897 mit Paul Block verheiratet [vgl. Renate Jakobson: Rosa Bertens. Entwicklung einer Schauspielerin im deutschen Theaterleben der Jahre 1874-1929. Diss. Berlin 1969, S. 15]. für die Rolle der Elfriede von Malchusweibliche Hauptfigur in „Tod und Teufel“ (eine Kämpferin gegen Prostitution) – Rosa Bertens hat die Rolle nicht gespielt. zu gewinnen. Ich kann mir nun
wohl denken, daß Frau Bertens die Aufgabe künstlerisch nicht klar genug schien,
daß Frau Bertens fürchten mochte durch die Rolle künstlerisch in ein
unvorteilhaftes Licht zu geraten. Ebenso sicher bin ich daß es mir persönlich
leicht wäre diese Bedenken bei Frau Bertens zu zerstreuen. Zu meiner Ueberraschung und ohne mein Einverständnis sehe ich nun auf einmal den | Namen
einer anderen Damedie Schauspielerin Mirjam Horwitz (mit Erich Ziegel verheiratet), deren Name in einem Bericht über das Heimliche Theater genannt war: „zur Aufführung gelangt Wedekinds ‚Tod und Teufel‘. Frank Wedekind und Frau, ferner Mirjam Horwitz und Erich Ziegel werden in den Hauptrollen mitwirken.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 107, 28.2.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] für die Rolle erwähnt. Zugleich scheint mir allerdings die
ganze Aufführung wieder sehr in Frage gestelltPaul Block hat sich in der von Wedekind gewünschten Notiz (siehe oben) auch im Fall des Projekts des Heimlichen Theaters (siehe oben) unmittelbar auf Wedekinds vorliegenden Brief bezogen: „Es scheint [...] überhaupt eine Bewegung für Wedekinds Kunst im Gange zu sein. [...] in nächster Zeit ist, wie unsere Leser wissen, eine Aufführung von ‚Tod und Teufel‘ im ‚heimlichen Theater‘ zu erwarten. Nach glaubwürdigen Nachrichten scheint es freilich mit dieser Anti-Zensur-Vorstellung noch nicht recht vorwärts zu gehen. Der Vater der Idee Heinrich Lautensack soll die Lust an dem Experiment in der geplanten Form verloren haben und Wedekind selbst ist anscheinend mit dem Plan einer Nachtaufführung nicht recht einverstanden.“ [Frank Wedekind im Hoftheater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 125, 8.3.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)], da man sich über den Termin
nicht einigen kann und mir die Notwendigkeit, zu einer NachtvorstellungZu Wedekinds „Tod und Teufel“ im Rahmen des Heimlichen Theaters (siehe oben) war angekündigt: „Die erste Aufführung“ werde „als Nachtvorstellung“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 107, 28.2.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] stattfinden. seine
Zuflucht nehmen zu müssen, mir für meine Arbeit doch etwas zu
erniedrigend erscheint. Darf ich mir bei dieser Gelegenheit aber vielleicht
erlauben, die Aufmerksamkeit der von mir so hoch verehrten großen Künstlerin
auf eine andere Rolle, auf die LeonoreLeonore von Gystrow, eine der beiden weiblichen Hauptrollen in „Schloß Wetterstein“ (Gemahlin von Rüdiger von Wetterstein, die aus erster Ehe die Tochter Effie hat). Rosa Bertens hat diese Rolle nicht gespielt. „Schloß Wetterstein“ wurde erst am 15.11.2017 in Zürich uraufgeführt und konnte der Zensur wegen zu Lebzeiten Wedekinds im Deutschen Reich nicht aufgeführt werden. in meinem Schauspiel „Schloß Wetterstein“
zu lenken. Das Stück, das bis jetzt nur als drei Einakter1910 waren im Verlag Georg Müller die drei Einakter erschienen, die der Autor dann gekürzt und überarbeitet als ein Stück präsentierte: Die Komödie „In allen Sätteln gerecht“ bildete den 1. Akt, das Schauspiel „Mit allen Hunden gehetzt“ den 2. Akt, die Tragödie „In allen Wassern gewaschen“ den 3. Akt von „Schloß Wetterstein. Schauspiel in drei Akten“ [vgl. KSA 7/II, S. 657f.]. besteht wird in
einigen | TagenWedekinds „Schloß Wetterstein. Schauspiel in drei Akten“ [vgl. KSA 7/II, S. 692] war im Spätsommer 1912 noch immer im Georg Müller Verlag angekündigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 220, 20.9.1912, S. 10995] und erschien einer Widmung in einem Exemplar der Erstausgabe zufolge gegen Ende September [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 30.9.1912]. als einheitliches ganzes erscheinen. Das erste Exemplar werde
ich mir erlauben Frau Bertens zu übersenden.
Mit hochachtungsvollem Gruß
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
7.3.12.