München, 5.XII.1890.
Lieber Bruder,
über lauter Arbeit habe ich wieder vergessen, Dir zu
schreiben. Wenn Du mir daher vielleicht eine größere SummeArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind in einer Übersicht den Betrag von 160 Mark für den 24.12.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. Größere Summen über 800 Mark verzeichnete er erst ab Februar 1891. schicken wolltest,
so würdest Du Dich und mich des ewigen Drängens entheben. Ich werde nun doch in
nächster Zeit aufhören Geld zu brauchen. Mein StückWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“ erschien spätestens Anfang März 1891 in München [vgl. KSA 2, S. 643]. ist nahezu gedruckt. In den
nächsten Tagen wird es erscheinen. Ich habe von maßgebenden Leuten, die es im
Manuskript gelesen, darunter auch vom Oberregisseur SavitsJocza Savits war einer der leitenden Regisseure für das Schauspiel am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1891, S. 354]. aus die günstigsten
Urtheile darüber und indessen habe ich ein zweites StückAn „Frühlings Erwachen“ arbeitete Wedekind seit Oktober 1890 [vgl. KSA 2, S. 763]. schon wieder zur
Hälfte fertig. Die stete Anspannung aller Kräfte, in der es mich hält, ist eben
Ursache, daß ich Dir zu schreiben verpaßt. Außerdem bin ich hier kritischer
Mitarbeiter verschiedener, wenn auch nur kleinerer Blätternicht ermittelt., was mir aber
immerhin dann und wann eine Kleinigkeit abwirft. In der ,,Münchner Kunst“Die Zeitschrift „Münchner Kunst. Illustrirte Wochen-Rundschau über das gesammte Kunstleben Münchens“ (Hg. von Julius Schaumberger) erschien seit dem 1.11.1889. Sie war das Folgeprojekt des „Münchener Theater-Journals“, als dessen 35. Jahrgang die neue Zeitschrift im Titel auch firmierte. Ihre letzte Nummer erschien am 1.1.1891. Das kurzlebige Projekt wurde durch die Gesellschaft für modernes Leben und deren Zeitschrift „Moderne Blätter“ abgelöst, wie die Redaktion in der letzten Nummer mitteilte [vgl. Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 52, 1.1.1891, S. 521]. einer
allerdings hochtendenciösenDie „Münchner Kunst“ verfolgte eine naturalistische Programmatik und habe sich „in den Dienst der litterarischen Revolution“ gestellt [Adalbert von Hanstein: Das jüngste Deutschland. Zwei Jahrzehnte miterlebter Literaturgeschichte. Leipzig 1901, S. 196]. künstlerischen Wochenschrift erscheinen derweil
meine GedichteIn der „Münchner Kunst“ sind zwei Gedichte von Wedekind erschienen: „Pirschgang“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 45, 12.11.1890, S. 436] und „Meningitis tuberculosa“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 48, 4.12.1890, S. 468] [vgl. KSA 1/I, S. 286-287; KSA 1/II, S. 1891-1893, 1963-1965]., die meinen Namen in kürzester Zeit in den hiesigen
Journalistenkreisen nicht unrühmlich bekannt gemacht haben. – – – – – – – – – –
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