18.I.18.
Geliebte Tilly!
Inliegend der Brief von Adele Sandrocknicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Adele Sandrock an Wedekind, 17.1.1918. – Tilly Wedekind schrieb Adele Sandrock daraufhin am 19.1.1918 einen Brief, in dem es heißt: „Frank zeigte mir Deinen Brief. [...] Nachdem ich nun im Sommer in Zürich sehr schöne Erfolge hatte, nahm er mich jetzt im Herbst nicht mit [...]. Er sagte er könne meine Depression nicht ertragen. Aber woher kam die? Er will mich also mitnehmen oder zu Hause lassen, wie’s ihm gerade passt. [...] Soll ich aber deswegen auf die Bühne überhaupt verzichten, jetzt wo ich anfange hervorzutreten? Nein, das will ich nicht. Frank [...] hat [...] allen Leuten erzählt, wie er unter meinen ewigen Selbstmordgedanken gelitten u. er wurde auch von Vielen sehr bedauert. Du denkst es sei erblich? Ja meine Schwester hat sich in der Verzweiflung das Leben genommen, u. meine Mutter, die Schweres durchgemacht hat, hat auch einmal einen Versuch gemacht. [...] Du fragst, ob ich nicht an meine Kinder dachte? Die Kinder, besonders Pamela, fiengen auch schon an unter diesen Zuständen zu leiden. Und ich war oft in einer Verfassung, dass ich mir sagte, lieber keine Mutter als so eine. [...] Als Frank sich verheiratete, glaubte ja kein Mensch, dass das lange dauern würde. [...] Ich mache ihn für nichts verantwortlich, aber meine Schuld ist es weiß Gott auch nicht.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 370].
Mit herzlichen Grüßen
Dein
Frank.
[Kuvert:]
I.H.
Frau Tilly Wedekind
Heilanstalt Neu-Wittelsbachdie Kuranstalt Neuwittelsbach (Romanstraße 11) im Münchner Stadtteil Neuhausen, geleitet von dem Geheimen Sanitätsrat Dr. med. Rudolf von Hößlin [vgl. Adreßbuch für München 1918, S. 295]. Tilly Wedekind war von der Kuranstalt Neufriedenheim in die Kuranstalt Neuwittelsbach verlegt worden [vgl. Wedekind 1969, S. 189], die spezialisiert war für die „Aufnahme von an chronischen und akuten, nicht ansteckenden Krankheiten Leidenden“ [Adreßbuch für München 1917, Teil III, S. 52].
München-Neuhausen<lat>