München,
29.III.17
Geliebter Frank,
anbei ein Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Georg Müller an Wedekind, 29.3.1917. – Die nachfolgende Bemerkung zu „Herakles“ (siehe unten) legt Wedekinds Verleger Georg Müller als Absender nahe. das jetzt Nachmittag ankam. Ich denke es
ist Dir recht, dass ich’s im Brief einsende.
Ich freue mich sehr, dass „Herakles“ vollendetWedekind notierte am 24.3.1917: „Expediere Herakles an Müller“ [Tb] – er sandte ein Exemplar eines vom 13. bis 22.3.1917 diktierten „Herakles“-Typoskripts [vgl. KSA 8, S. 880] an seinen Verleger Georg Müller in München [vgl. Wedekind an Georg Müller, 24.3.1917], der seit 1910 die Buchrechte hatte [vgl. KSA 8, S. 871] und den Empfang telegrafisch bestätigt haben dürfte (siehe oben). ist, ich las
auch die Notiz im Tageblattdie zwei Tage zuvor veröffentlichte Notiz „Wedekinds neues Werk“ im „Berliner Tageblatt“; sie lautet: „Frank Wedekinds neue Dichtung ‚Herakles‘ ist nun in der Handschrift vollendet. Der Dichter nennt sein Werk ein dramatisches Gedicht in drei Akten; es ist aber, jeder Gliederung entwachsen, eine Folge starker Szenen in gebundener Sprache, von denen manche ein in sich geschlossenes kleines Drama bildet. Nähere Andeutungen über Inhalt und Stil würden sinnlos sein, da sie das Wichtigste nicht geben können, Seele und Wort des Dichters. Eines aber läßt sich jetzt schon sagen: es ist ein ganz neuer Wedekind, der in diesem Werk zu uns spricht. Die Kritik, die auf den Wedekind des ‚Erdgeist‘ und des ‚Marquis von Keith‘ eingestellt ist, wird sich eine frische Stempelprägung anschaffen müssen.“ [Wedekinds neues Werk. In: Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 158, 27.3.1917, Abend-Ausgabe, S. (2)]. Ist es schon fertig dictiert? Wenn’s vervielfältigt
wird, bekomm ich ein Exemplar?
Viel Neues weiß ich Dir nicht zu erzählen. Gestern
Nachmittag war ich bei Frau | Oberleutenant Kernnicht identifiziert; Tilly Wedekind hat Frau Oberleutnant Kern (eine Bekannte von Ludwig Scharf) am 2.3.1917 bei Anna Langheinrich (geb. von Seidlitz) kennengelernt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 3.3.1917]. zum Thee. Ich lernte sie bei
Frau Langheinrich kennen. Es waren wieder ziemlich dieselben Leute beisammen,
ausserdem auch noch Frau Friese aus Barmennicht identifiziert. Wedekind notierte am 28.3.1909 als Reisebegleiterin von Barmen nach Hagen (siehe unten) eine „Frau Frese“ [Tb]; die Namen ‚Friese‘ und ‚Frese‘ sind beide mehrfach in Barmen nachgewiesen [vgl. Adreßbuch der Stadt Barmen 1916, Teil I, S. 187, 189], so dass eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist. mit der Du damals nach Hagen fuhrstWedekind unternahm am 28.3.1909 von Barmen aus einen Ausflug nach Hagen, um dort Karl Ernst Osthaus zu besuchen und das von ihm 1902 eröffnete Folkwang-Museum für moderne Kunst und die von ihm als Künstlerkolonie konzipierte Gartenstadt Hohenhagen zu besichtigen: „Fahrt nach Hagen mit Dr. Reiche, Pfleiderer und Frau und Frau Frese zu Osthaus der uns sein Museum und seine neue Stadt zeigt.“ [Tb] Die als Reisebegleiterin genannte Frau Frese ist nicht identifiziert.
u. eine nette Photographinnicht identifiziert.. Übrigens war’s ziemlich stumpfsinnig u. es gefiel
mir nicht besonders. Aber Frau Kern will mir Wurst verschaffen, hatte es also
schließlich einen Zweck.
Heute war etwas besseres Wetter. Nachmittags las ich „die Schauspielerin“
von Heinrich Mann. Erst beim Lesen | merkte ich, dass ich es schon lang kenneHeinrich Manns Novelle „Schauspielerin“ erschien zuerst in Fortsetzungen vom 30.12.1904 bis 19.1.1905 in der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ und 1906 im Wiener Verlag als Buchausgabe; sie war 1917 gerade im Band 2 „Die Novellen“ in der Ausgabe von Heinrich Manns „Gesammelten Romanen und Novellen“ im Kurt Wolff Verlag neu erschienen – diese Fassung dürfte Tilly Wedekind aktuell gelesen haben, falls sie nicht das gleichnamige Drama „Schauspielerin“ las, das seinerzeit nur in der Erstausgabe von 1911 im Verlag Paul Cassirer vorlag. Frank Wedekinds las am 4.10.1911 in der Torggelstube wohl das Drama – „T. St. Schauspielerin von Heinrich Mann gelesen“ [Tb] – und sah es am 21.4.1913 gemeinsam mit seiner Frau im Deutschen Volkstheater in München mit Tilla Durieux in der Titelrolle: „Mit Tilly im Volkstheater Durieux Gastspiel. Die Schauspielerin von Heinrich Mann.“ [Tb].
Pamela hab’ ich heute in der St. Anna Schule angemeldet.
Aufnahme Prüfungen sind aber erst Anfang Juli.
Hoffentlich wird sie genommen, die St. Anna Schuledie städtische St. Anna-Schule oder Schule an der St. Annastraße im Lehel (St. Annastraße 1) [vgl. Adreßbuch für München 1917, Teil II, S. 42; Teil III, S. 98], seit 1877 eine konfessionell ungebundene Simultanschule. soll ja sehr gut sein.
Meinem Vater geht es leider wieder nicht besonders. Seine Gesundheit
war durch diese Blutvergiftung im Herbst sehr geschwächt.
Heute spielst Du auch wieder u. Samstag auch? Von nächstem Donnerstag
ab ab dem 5.4.1917 (Gründonnerstag). In Berlin waren die Theater nur am Karfreitag geschlossen, nicht aber an den Osterfeiertagen [vgl. Spielplan der Berliner Theater. In: Berliner Börsen-Zeitung, Jg. 62, Nr. 155, 1.4.1917, Morgen-Ausgabe, S. 18].sind die Theater | wohl geschlossen?
Ich erwarte schon sehr Deine nächsten Nachrichten, seit
Montag bekam ich keine. Wielang Du in DresdenWedekind reiste nach seinem Gastspiel in Berlin nicht nach Dresden.
bleibst u. wann Du heimkommst. Wie geht es Dir immer? Wie fühlst Du Dich? Hast
Du die ZwibäckeSchreibversehen, statt: Zwiebäcke. bekommen?
Lebwohl Liebster u. vergiss’ mich nicht ganz über all dem Neuen
in Berlin.
Von Herzen
Deine Tilly
P.S. Darf ich Dich bitten mir für den 1.der 1.4.1917 (Sonntag). noch etwas GeldWedekind notierte im Kontobuch zwar erst am 3.4.1917 „Check an Tilly“ über „500“ Mark, schickte ihr den Scheck aber bereits am 1.4.1917 [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.4.1917]. zu schicken?
Jetzt hab’ ich noch aber am 1. ist eben Vieles zu bezahlen. Vielen Dank!