Kennung: 4113

Berlin, 25. März 1917 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

HOTEL EXCELSIOR BERLIN

GEGENÜBER DEM ANHALTER BAHNHOF
3 MINUTEN VOM POTSDAMER BAHNHOF


Berlin SW 11, 26.III. 1917irrtümliches Datum. Wedekind schrieb den vorliegenden Brief am 25.3.1917: „Brief an Tilly.“ [Tb]

KÖNIGGRÄTZER STR. 112.
TELEFON: AMT NOLLENDORF 466-479.


Geliebte Tilly!

Empfang herzlichen Dank für Deine beiden KartenbriefeBriefkarten [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 21.3.1917 und 22.3.1917].. Die Eier habe ich schon alle gegessen würde Dich aber bitten mir doch lieber keine Eier mehr zu schicken, da sie beim Kochen meistens zerbrechen. Von Deinen Sendungen habe ich also alles erhalten bis auf das Fleisch auf das ich mich sehr freue. Butter habe ich im Überfluß.

Letzten Montag im KlubWedekind notierte am 19.3.1917 seine Besuche in der Deutschen Gesellschaft 1914 (Wilhelmstraße 67): „Mittag im Klub. [...] Abend Club. Vortrag Kerschensteiner. Hermann Bahr Gerhard und Karl Hauptmann Richard Strauß Prof. Steindorf“ [Tb]; seine Begegnungen mit Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, und Max Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 292], notierte er nicht, sie sind durch den vorliegenden Brief belegt. kam Felix Holländer sehr angelegentlich auf mich zu, Reinhardt und ich begrüßten uns nur flüchtig. Morgen | Abend gehe ich in die Carl Hauptmannsche Premieredie Uraufführung von Carl Hauptmanns Stück „Tobias Buntschuh. Eine burleske Tragödie in fünf Akten“ (1916) unter der Regie von Carl Heine am 26.3.1917 im Deutschen Theater zu Berlin um 19 Uhr: „Direktion Max Reinhardt. Deutsches Theater [...]. Montag zum ersten Male: Tobias Buntschuh.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 154, 25.3.1917, Morgen-Ausgabe, 7. Beiblatt, S. (2)] Sie war schon länger angekündigt: „Das neue Bühnenwerk Carl Hauptmanns ‚Tobias Buntschuh‘, das mit Pallenberg in der Titelrolle im Deutschen Theater zur Aufführung gelangen soll, ist jetzt im letzten Heft der literarischen Zeitschrift ‚Die Ernte‘ erschienen. Ueber diese fünfaktige Dichtung, die Carl Hauptmann selbst eine ‚burleske Tragödie‘ nennt, wird nach dem ersten Bühnenabend noch manches zu sagen sein“ [Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 496, 27.9.1916, Abend-Ausgabe, S. (3)]. „Auf den Bühnen des Deutschen Theaters gelangen noch in dieser Spielzeit im Rahmen des ‚Deutschen Zyklus‘ drei neue Werke zeitgenössischer deutscher Dramatiker zur Ausführung: [...] die burleske Tragödie ‚Tobias Buntschuh‘ von Carl Hauptmann (Uraufführung)“ [Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 128, 11.3.1917, Morgen-Ausgabe, S. (2)]. Wedekind notierte am 26.3.1917: „Tobias Bundschuh von Carl Hauptmann.“ [Tb], zu der sie mir einen Platz schicktenHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Premierenkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Deutsches Theater zu Berlin an Wedekind, 24.3.1917.. NachherWedekind notierte nach dem Besuch der Uraufführung von Carl Hauptmanns „Tobias Buntschuh“ (siehe oben) am 26.3.1917 die Premierenfeier in der Deutschen Gesellschaft 1914 (Wilhelmstraße 67): „Nachher im Club große Gesellschaft“ [Tb], bei der neben Wedekind unter anderen Curt Baake, Walther Rathenau und Max Reinhardt selbst dabei waren, wie Wilhelm Herzog am 26.3.1917 notierte: „Deutsches Theater: ‚Tobias Buntschuh‘ von Carl Hauptmann. Die ganze Mischpoke. Reinhardt-Rummel. [...] Später im Club. Baake. Friedeberger [?], Dr. Rathenau, Wedekind, Sobenheim [?], Reinhardt.“ [Tb Herzog] wird man sich ja wohl im Club treffen. Ich bin sehr gespannt, welche Zusammenstellung sich ergiebtSchreibversehen, statt: ergibt.. VorgesternWedekind notierte am 23.3.1917: „Zum Thee bei Meinhard mit Bernauer“ [Tb]; er war – wie Rudolf Bernauer – zu Besuch bei Carl Meinhard (Charlottenstraße 90-92) [vgl. Berliner Adreßbuch 1917, Teil I, S. 1878] und sprach insofern mit beiden Direktoren des Theaters in der Königgrätzer Straße. war ich bei Meinhard zum Thee mit Bernauer zusammen. Sie baten mich, noch bis zum 5. AprilWedekinds Gastspiel als Dr. Schön in der „Erdgeist“-Inszenierung im Theater in der Königgrätzer Straße (Direktion: Carl Meinhard und Rudolf Bernauer) in Berlin wurde dann bis zum 7.4.1917 verlängert. Die Presse meldete für den 5. und 7.4.1917: „Frank Wedekind, der gegenwärtig im Theater i. d. Königgrätzerstraße ein Gastspiel absolviert, spielt in der heute im Berliner Theater stattfindenden Aufführung seiner Tragödie ‚Erdgeist‘ – in der Besetzung des Theaters i. d. Königgrätzerstraße – den Dr. Schön und beschließt sein Gastspiel am Sonnabend ebenfalls im Berliner Theater in der gleichen Rolle.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Jg. 62, Nr. 161, 5.4.1917, Morgen-Ausgabe, S. 6] Die Presse meldete ferner, ab dem 7.4.1917 trete „nach längerer Urlaubszeit Friedrich Kayßler [...] wieder auf“ [Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 167, 1.4.1917, Morgen-Ausgabe, S. (3)]; sie meldete außerdem für den 9.4.1917: „Ludwig Hartau, der während des Wedekind-Gastspiels im Theater in der Königgrätzer Straße die Rolle des Dr. Schön in ‚Erdgeist‘ an den Dichter abgegeben hatte, übernimmt sie von morgen ab wieder, sodaß von diesem Tage an die weiteren Aufführungen in der Premierenbesetzung stattfinden.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Jg. 62, Nr. 165, 8.4.1917, Morgen-Ausgabe, S. 11] zu spielen, weil Kayßler am 5. April zurückkommt, Hartau dadurch entlastet ist und den Dr. Schön wieder übernehmen kann.

Die Orska erzählte mir schon bei der vorigen Vorstellungbei der „Erdgeist“-Vorstellung am 21.3.1916 – „Erdgeist 6“ [Tb]. von Deinem Geburtstagstelegrammnicht überliefert., das sie ungemein gefreut habe, wie sie sagte. Sie fragte, woher Du nur das Datum gewußt habest. GesternWedekind sah Maria Orska bei der „Erdgeist“-Vorstellung am 24.3.1916 – „Erdgeist 7“ [Tb]. richtete ich ihr Deinen Dank für | das Parfüm aus, worauf sie sagte sie habe eben eine wunderschöne Karte von Dirnicht überliefert. Die verschollene Bildpostkarte zeigte Tilly Wedekind in der Rolle der Delila in „Simson“ (1914), in mehreren Ausführungen als Künstlerpostkarte vertrieben. als Deliladie weibliche Hauptfigur in Wedekinds Versdrama „Simson oder Scham und Eifersucht“ (1914). bekommen.

Mit Woldemar Wedekind habe ich derweil wieder einen sehr gemütlichen AbendWedekind notierte am 22.3.1917 den Abend mit seinem Cousin Woldemar Wedekind in der Weinstube Gebrüder Habel (Unter den Linden 30): „Mit Woldemar Wedekind bei Habel äußerst gemütlicher Abend. Zum Schluß treffen wir Felix Holländer“ [Tb]. in der alten Weinstube Habel zugebracht, nicht in dem Lokal, in dem wir soviel Sekt tranken sondern neben an, wo man an frischgescheuerten Tischen sitzt. Er scheint sehr gut mit den StollwerksSchreibversehen, statt: Stollwercks. – Woldemar Wedekind war Inhaber der Firma (Im- und Export) W. Wedekind und Co. in Hamburg (Catharinenstraße 29/30) [vgl. Hamburger Adressbuch 1917, Teil I, S. 919] und könnte als Kaufmann die Bekanntschaft mit Ludwig Stollwerck, Firmenchef der Schokoladenfabrik Gebrüder Stollwerck A.-G. (Köln) mit Zweigstellen in anderen Städten (darunter Berlin), und dessen Gattin Maria Stollwerck (geb. Schlagloth) in Köln (Hardefuststraße 16) [vgl. Adreßbuch 1917 für Köln, Teil II, S. 566] gemacht haben; vielleicht ist auch insgesamt die Unternehmerfamilie Stollwerck gemeint. in Köln zu stehen und bat sich Deine Adresse aus, da er in der Lage sein werde Dir noch Chokolade„Während des Kriegs und insbesondere seit dem Hungerwinter 1916/17 war das begehrte Lebens- und Genussmittel Schokolade ein ausgesprochenes Luxuxgut“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 345]. von StollwerkSchreibversehen, statt: Stollwerck (die Schokoladenfabrik Gebrüder Stollwerck A.-G.). zu schicken. Wenn er die Chokolade schickt würde ich Dich bitten ihm selber zu danken. Ich sagte ihm bei der Gelegenheit nämlich daß ich auch die beiden Schachteln Chokolade schon geschickt habe. Daß Du selber | mit StollwerksSchreibversehen, statt: Stollwercks. – „Inwiefern Tilly Wedekind mit den Inhabern des Kölner Familienunternehmens Stollwerck (Schokolade- und Kakaoprodukte) bekannt war, lässt sich nur vermuten“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 345]. bekannt bist hielt ich nicht für richtig zu erwähnen, da das seinen Eifer schwerlich vergrößern würde. Eben jetzt erwarte ich ihn wieder. Er holt mich zum Essen ab um mich mit seinem Vorgesetztendem militärischen Vorgesetzten (nicht identifiziert) von Woldemar Wedekind, dessen Nachname und Dienstgrad in Wedekinds Notiz am 25.3.1917 zu dem Abendessen mit seinem Cousin im Weinlokal F. W. Borchardt (Französische Straße 47/48) festgehalten ist: „Woldemar holt mich zu Tisch bei Borchard mit General von Hahn.“ [Tb] bekannt zu machen.

Nun leb wohl liebe Tilly, laß es Dir gut gehen grüße und küsse die Kinder von mir und sei selber herzlich geküßt
von Deinem
Frank.


Was hier jetzt am knappsten und schlechtesten ist, ist BrodSchreibversehen, statt: Brot.. Wenn Du mir also etwas schicken willst dann schick bitte Zwiebäcke, oder eventuell nur BrodSchreibversehen, statt: Brot. wenn es keine Zwiebäcke giebt. Denn ohne das nützt mir die Butter nichts.

Bei Meinhard regte ich den Gedanken an ein Sommergastspiel an, fand aber noch keinen rechten Wiederhall. Ich werde jetzt zuerst sehen wie sich das Deutsche Theater dazu stellt und dann eventuell mit | Berla Bernauer, vielleicht auch mit BarnowskyWedekind sprach am 6.4.1917 im Weinlokal F. W. Borchardt mit Victor Barnowsky, Direktor des Deutschen Künstlertheaters in Berlin [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 298], der eine „Marquis von Keith“-Inszenierung zusagte: „Bei Borchart mit Barnowsky der M. v. Keith mit Bassermann spielen will“ [Tb]. „Die Aufführung wurde erst nach Wedekinds Tod am 23.10.1918 realisiert.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 346] darüber sprechen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 19 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Zusatz unten auf Seite 4 ist unten auf Seite 1 fortgesetzt (die auf dem aufgeschlagen Doppelblatt gegenüberliegende Seite), dort durch eine durchgezogene Linie vom früher geschriebenen Brieftext abgesetzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der von Wedekind irrtümlich auf den 26.3.1917 datierte Brief wurde dem Tagebuch zufolge am 25.3. 1917 – „Brief an Tilly“ – geschrieben, was durch den Briefinhalt und „durch Tillys Antwortbrief [...] bestätigt wird.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 345]

  • Schreibort

    Berlin
    25. März 1917 (Sonntag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke in drei Bänden. Band 3: Prosa. Erzählungen, Aufsätze, Selbstzeugnisse, Briefe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Manfred Hahn
Verlag:
Berlin: Aufbau-Verlag
Jahrgang:
1969
Seitenangabe:
638-639
Kommentar:
Der Brief ist im Erstdruck auf den 26.3.1917 datiert. – Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 451-453 (Nr. 690).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 25.3.1917. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

26.02.2023 10:40