Kennung: 4082

München, 14. Oktober 1887 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Rothgang, Christine

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

München, den 14. Oktober 1887


Geehrter Herr Wedekind!

Erst Montag den 10.Wedekind wird das Korrespondenzstück noch mit Absendeadresse Plattenstraße 35 abgeschickt haben, da Christine Rothgang im vorliegenden Brief von seinem Umzug nach Hottingen in die Schönbühlstraße Nr. 10 (in der ersten Septemberhälfte 1887) offenbar nichts weiß [siehe unten]. d. M., Nachts 12 Uhr kam ich in den Besitz Ihrer, mich in höchstes Erstaunen setzenden Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Christine Rothgang, 31.8.1887..

Was Sie von Frl. BuchmannAnna Buchmann, die die Pension Buchmann in der Seefeldstraße 1 führte, wo Wedekind zu Mittag aß, arbeitete darüber hinaus als Kassiererin im Züricher Modekaufhaus Jelmoli und Cie. [vgl. KSA 5/II, S. 569], wo auch Christine Rothgang beschäftigt war. befremdet, habe ich mir nie anders erwartet, ich wurde von dieser Seite immer verkannt, mir wurde nie vertraut wasvermutlich Schreibversehen, statt: von. anderen, wiewohl ich jedem vertraute. –

Herzlichen Dank für Ihre lieben Wünsche; ist mir nur ein geringer Theil von dem zugedacht, will ich sehr wohl damit zufrieden sein, alles übrige möchte ich gerne einem KaterKosename, ehemals Biername Wedekinds – auf dem Titelblatt der Christine Rothgang gewidmeten Gedichtsammlung hat Wedekind 2 Katzenfiguren gezeichnet, die „epigrammatisch als ‚PUSI‘ und ‚KATER‘ ausgewiesen sind“ [vgl. KSA 1/I, S. 805]. (auch nicht Babettlinicht ermittelt. – Kosename für Barbara und Elisabeth.) abtreten, der mir sehr schwermüthig zu sein scheint. |

Eine VerlobungskarteDie Karte ist nicht überliefert. Arthur Kutscher, dem sie offenbar noch vorlag, schreibt: „Christel Rothgang, die sich im August 87 verlobt, und deren gedruckte Anzeige er mit einem Trauerrand versieht“ [Kutscher 1, S. 151]. – Angezeigt wurde die Verlobung am 24.9.1887 in der Presse unter der Rubrik Familiennachrichten. Verlobte in München: „Dr. Johann Dippold, prakt. Arzt v. Bubensdorf, mit Christiana Rothgang, Kofferträgerstochter v. h.“ [vgl. Münchner neueste Nachrichten, Jg. 40, Nr. 332, 24.9.1887 (Vorabendblatt= Erster Bogen), S. 5]. lege ich Ihnen heute bei. Gerne hätte ich dieselbe schon früher an Sie geschickt, doch mußte ich mich hüten, irgend einen Verdacht zu erwecken, da mein Bräutigam, wie ich Ihnen schon früher erklärte, eifersüchtig ist. Daß ich von Ihnen und Herrn Henckell Gedichte bekamWelche Gedichte Christine Rothgang von Wedekind oder Karl Henckell erhielt, ist nicht bekannt. – Im Nachlass Wedekinds ist ein Konvolut von 4 Blättern (Fadenbindung, 8 Seiten beschrieben) mit 5 Gedichten überliefert, das in hebräischen Buchstaben mit dem Titel ‚Christine Rothgang‘ und der Datierung „Sommer 1887“ versehen ist. Darin enthalten sind die 5 Gedichte „Erwachen“ (Mai 1887), „An der Nähmaschine“ (Juli 1887) und 3 mit „Abschied“ betitelte und auf den 13.8.1887 datierte Gedichte [vgl. KSA 1/I, S. 267-270; Kommentar, ebd. S. 805f.]. In Frage kommt auch das Gedicht „Schönes Weib, ich muss verzagen“ [KSA 1/I, S. 266; vgl. ebd. S. 808]., veranlaßte meinen zukünftigen Gatten zu allerlei Fragen und Bemerkungen, doch fürchte ich mich nicht. –

Noch in diesem Monat soll meine HochzeitAm 26.10.1887 heiratete Christine Rothgang in Nürnberg Dr. Johann Gottlieb Friedrich Julius Dippold [(Familien-Bogen, angelegt 17.8.1887, Stadtarchiv München) vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 124]. und zwar in Nürnberg stattfinden. Meine Wohnungin Roßstall im Amt Fürth, wo ihr Bräutigam Dr. Fritz Dippold als Arzt tätig war. nebst Küche habe ich bereits eingerichtet und uns ein recht gemüthliches Nest bereitet. Unsere Schlafstube hat ein großes Doppelfenster. Den Mond sah ich bis jetzt noch nicht hineinscheinen, doch wird der gute Alte auch noch einige Strahlen übrig haben, wird nicht alle in das große Zimmer Plattenstr. 35bis Anfang September 1887 Wohnadresse Wedekinds in Fluntern; in der ersten Septemberhälfte 1887 bezog er im Vorort Hottingen ein Zimmer in der Schönbühlstraße 10 bei der „Logisgeberin“ Witwe Meyer-Girsberger [Adressbuch der Stadt Zürich für 1888, Teil I, S. 203]. Um Mitteilung der neuen Adresse bat Berta Jahn in einer Postkarte [vgl. Berta Jahn an Wedekind, 12.9.1887]. senden. |

O! dieser dicke Gedankenstrich. Ich darf ihn nicht mehr besehen, wie können Sie mir noch so kurze Zeit vor meiner Verheirathung solchen Kummer machen?

Schon lange glaubte ich aus Ihren Gedanken verschwunden zu sein, gab mich der Hoffnung hin, Sie würden in andere noch tiefere Augen Ihre Blicke versenkt haben, schrieb deßhalb nie an Sie um die alten Erinnerungen nicht mehr wo/a/ch zu rufen. –

O bitte, bitte Kater vergessen Sie mich; mich so leichtsinniges Geschöpf, ich kann keine Ruhe haben bevor ich nicht weiß von Ihrer Seite im Reich der Vergessenheit zu sein. Sie wußten doch sogleich, als Sie mich das erste mal sprachen, daß ich verlobt binDa Wedekind und Christine Rothgang sich schon Anfang Mai 1887 kannten, dürfte hier nicht das amtliche, sondern ein inoffizielles Heiratsversprechen gemeint sein., Sie haben mich dennoch | zu fesseln gewußt, aber jetzt zu Ende damit. – –

Ich lächle nicht über Ihre Zeilen, sie betrüben mich; ich gehe meinem Glück in wenigen Tagen entgegen, möchte Niemand gewußt haben, der meinetwegen unglücklich ist. Doch nein, Sie sind es nicht. In einer trüben Anwandlung haben Sie diesen Brief geschrieben, Sie ließen sich hinreißen von Ihrer überaus großen Leidenschaft.

Den Tag meiner Hochzeit werde ich Ihnen nicht bekannt machen, Sie sollen es erst später erfahren. Versprechen Sie mir, daß Sie Ihre Liebe an ein anderes, viel edleres Mädchen wenden, Sie können glücklich machen, und werden glücklich sein.

Dies wünscht von ganzem Herzen

BussiLockruf für die Katze; (bayrisch) Kuss; Küßchen. Hier wohl Kosename von Christine Rothgang [vgl. oben die Anmerkung zu „Kater“]..


– Bitte diesen Brief Niemand lesen zu lassen.


[Am linken Rand um 90 Grad gedreht:]


Von nun an bitte ich mir nicht mehr zu schreiben, außer ich habe Ihnen vorher Nachricht gegeben.


[Auf Seite 1 am unteren Rand um 180 Grad gedreht:]


Ostern 1897der 18.4.1897. – Warum Christine Rothgang dieses Ereignis notierte, ist unklar. Möglicherweise steht das Datum im Zusammenhang mit dem nicht ermittelten Beginn der Bekanntschaft und dem dann 10-jährigen Jubiläum..!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß: 11 x 17 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Briefbeilage, eine „Verlobungskarte“, ist nicht überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    14. Oktober 1887 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Zürich
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 189
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Christine Rothgang an Frank Wedekind, 14.10.1887. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

18.08.2024 12:06