Königreich Bayern
Postkarte
Herrn
Frank Wedekind
Berlin W. Eden Hotel
b./ Zoologischem
Garten.
Abs: Wedekind, München.
Prinzregentenstr. 50
Mittwochder 19.4.1916.. Mittags.
Mein innigst Geliebter, herzlichen
Dank für Deine gestrige Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 18.4.1916.. Hoffentlich siehst Du noch alle Leute die Dich
interessieren. Was | Th. Wolff gestern, vielmehr vorgestern im B.T.Theodor Wolff, Chefredakteur des „Berliner Tageblatt“, schrieb unter der Verfassersigle T.W. in seinem politischen Leitartikel: „In einigen Tagen werden dreihundert Jahre vergangen sein, seit der große Shakespeare starb. Es ist anzunehmen, daß die gebildete Menschheit, durch Drahthindernisse getrennt und durch Stickgase auseinandergehalten, dem unzerstörbaren Genie einmütig huldigen wird. Wir werden das in Deutschland herzhafter und ungezwungener tun können als die Leute in den romanischen Ententeländern, denen Shakespeare doch immer ein fremdes, gewaltsames, ungezähmtes und anormales Fabelwesen bleibt. [...] Das wesentliche Ziel bleibt, die deutsche Ostgrenze zu schützen, und dieser Schutz wird um so besser sein, je weniger er uns mit fremden Pflichten belastet und je weniger er unsere Bewegungen hemmt. [...] Wir halten es ebensowenig für unsere Mission, irgendwelche Völker oder Volksteile zu erlösen, wie uns die Unterdrückung fremden selbständigen Staatslebens verlockend dünkt. Aber wir lehnen auch dankend ab, wenn man von außen, vom feindlichen Lager her, uns mit einer Befreiung begnaden will. [...] Glaubt man wirklich, ein starkes und großes Volk wie das deutsche lasse sich seine Existenzformen, wie einen Covercoat, vom fremden Schneider liefern, und sei zu behandeln wie ein Negerstaat? Viele von uns wissen ganz genau, was fehlt, was gefordert und was bekämpft werden muß, und sie wissen auch, daß nicht für jeden Schaden eine Kaste die Verantwortung trägt. Aber wir müssen die Arbeit schon allein besorgen, so gut oder so schlecht wie es nun eben geht. [...] Und da mitten in diesem Kriege, der mit seinen unendlichen Kontrasten oft shakespearehaft wirkt, der noch höchst körperliche Schatten Shakespeares auftaucht, gedenkt man, in solchem Zusammenhange, auch des reizbaren Helden Coriolan. Nie würde und könnte ein unabhängiges Volk zur Gewinnung neuer Rechte ‚auf seines Vaterlandes Trümmer‘ steigen wollen, denn es ist selber das Vaterland.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 198, 17.4.1916, Montags-Ausgabe, S. (1)] schrieb,
ist doch ausgezeichnet! Gestern waren wir an der
Isar, heute im engl. Garten. Trotz Wind u. Kälte war es sehr schön. Heute Nachmittag
soll ich zu Fr. v. Jacobi zum Thee. Abends ist SchmetterlingsschlachtTilly Wedekind besuchte am 19.4.1916 im Münchner Schauspielhaus eine Vorstellung von Hermann Sudermanns Komödie „Die Schmetterlingsschlacht“ (1895), die um 19.30 Uhr begann (Ende gegen 22 Uhr) [vgl. Münchner Neuesten Nachrichten, Jg. 69, Nr. 201, 19.4.1916, General-Anzeiger, S. 2].. Ich weiß aber
noch nicht, ob es mir nicht zu viel wird. Jedenfalls möchte ich noch vor dem
Theater nach Hause. Morgen abends nach dem Essen kommen die B. Wedell mit ihrer
MutterKatharina Weimann (Antonienstraße 8), Privatierswitwe [vgl. Adreßbuch für München 1917, Teil I, S. 789], Lida von Wedells Mutter. Erna u. Agnes Pariser u. vielleicht auch Hr. Dr. Pariser zum Thee zu mir. Ich wollte sie ja schon lang bekannt machen.
Die Zukunft muss ich mir noch kaufen das Heft war von MärzFrank Wedekind hatte seiner Frau empfohlen, das Heft der „Zukunft“ vom 15.4.1916 mit Maximilian Hardens Artikel „Die Mördergrube“ [vgl. Die Zukunft, Jg. 24, Nr. 28, 15.4.1916, S. 29-54] zu kaufen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.4.1916], das Tilly Wedekind sofort bei der Münchner Buchhandlung Heinrich Jaffe bestellte, die zwar sogleich lieferte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 17.4.1916], allerdings ein älteres Heft der Wochenschrift „Die Zukunft“ aus dem Vormonat..
Jetzt stimmt die Guitarre wieder ganz gut. Sei innigst umarmt v. uns Dreien, Deine
Tilly