Kennung: 3871

Paris, 8. Juli 1914 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

HOTEL MADISON
48, RUE DES PETITS CHAMPS
(ANGLE DE L’AVENUE DE L’OPÉRA)
TÉLÉGRAMMES: MADISOTEL – PARIS


PARIS 8.7.14


Meine liebe Tilly!

Die Menschen arbeiten mit den stärksten Mitteln daran, um mich gegen Dich aufzuhetzen. Sie rechnen dabei damit daß Du nichts merkst, weil Dir diese Mittel unverständlich sind. In der ReginabarAnspielung auf den Abend am 22.8.1913 mit Emil und Ottilie Gerhäuser in der Regina-Bar im Regina-Palast-Hotel (Maximilianplatz 5) in München: „Mit Gerhäuser und Frau soupieren wir in der Reginabar“ [Tb]; dort „hatte Tilly sich zu einer Anspielung auf die eheliche Untreue von Emil Gerhäuser hinreißen lassen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] hatten Gerhäuser und seine Frau gemerkt daß ich nicht mehr für Dich einstehe, daß ich gegen Dich aufgebracht war. Sie sagten sich: Jetzt braucht man nur noch auf den Knopf zu drücken, dann fliegt das Gebäude in die Luft. Das wurde auf die durchtriebenste Weise im RatskellerAnspielung auf den Abend am 16.4.1914 mit Emil Gerhäuser im Stuttgarter Ratskeller: „Mit Tilly im RK. Gerhäuser kommt [...] und fragt mich nach Paul Eger“ [Tb]; als „Provokation“ fasste Wedekind diese Frage „in Anwesenheit Tillys auf deren ersten Liebhaber Paul Eger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249] auf. | in Stuttgart besorgt. Die Berechnung war, daß wir uns derart verzanken wer/daß/ Du abreist und die Gerhäuser dann die Gräfin Werdenfels spieltOttilie Gerhäuser hatte die Rolle der Gräfin Anna von Werdenfels im „Marquis von Keith“ in Nürnberg (Premiere: 31.10.1903) gespielt, Tilly Wedekind spielte sie bei den Gastspielen in Stuttgart (Premieren am 9.5.1912 und 19.4.1914) und seitdem in allen weiteren Auftritten mit ihrem Mann in diesem Stück.. Gerhäuser war ehrlich enttäuscht daß Du Deine Drohung abzureisen nicht verwirklichtest. Der König MenelausNach den Reden auf dem Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München spielte die Kapelle aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“ das Couplet „Ich bin Menelaus der Gute“ [vgl. https://portal.dnb.de/audioplayer/do/show/1104280507]; „mitten in die Stimmung getragener Festlichkeit [...] spritzte das Offenbachsche Couplet: ‚Ich bin Menelaos der Gute – laus der Gute, laus der Gute...‘“ [Mühsam 2003, S. 180] Wedekind fasste es „als Anspielung auf Tillys angebliche Untreue auf und fühlte sich als betrogener Ehemann vor der Festgesellschaft verhöhnt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249]. Wedekind notierte am 24.6.1914: „50 Geburtstagsbankett Ich bin der König Menelaus der Gute“ [Tb]. in München sollte dann dem Faß den Boden ausschlagen. In beiden Fällen schmeichelt man Deiner Eitelkeit um mich um so entschiedener gegen Dich aufzubringen und um Deine Abwehr um so dümmer zu gestalten. Daß Du die Schimpflichkeit meiner Situation absolut nicht begreifst, das wissen die Leute und bauen darauf. Sie haben durch Deine Reden in der Reginabar die Beweise, daß Du dich in einer Situation | befindest die Du von allen Seiten falsch beurteilst. Sie verfolgen das Ziel Dich in Konflikte zu bringen, denen Du nicht gewachsen bist. Sie sagen sich: Zwingen wir den Wedekind sich ihretwegen zu duellieren, dann wird er sich doch nicht für jemanden schießen, der gar nicht weiß was ein Duell ist. Alles ist genau darauf berechnet was Du mir jeden Tag entgegnest, daß Du das mich nichtSchreibversehen, statt: Du das nicht (oder: Du mich nicht). begreifst, daß Du mich für verrückt und verfolgungswahnsinnig hältst.

Dieser Brief enthält keinen Vorwurf. Er hat nur den Zweck Dich aufzuklären. Ich erwarte keine Umgehende Antwort, da uns abgezwungene Phrasen | nichts helfen können. Laß Dir deshalb ruhig Zeit mit der Antwort. Ich habe derweil an Gerhäuser geschriebenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Emil Gerhäuser, 8.7.1914., daß ich seine Thätigkeit zu würdigen weiß. Ich schrieb ihm nur, damit mir nicht zum 24 Julizu Wedekinds 50. Geburtstag am 24.7.1914. eine neue Ladung an den Kopf fliegt.

Sage Anna Pamela herzlichsten Dank für ihren schönen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1914.. Küsse die Kinder herzlich von mir.

Mit innigstem Kuß
Dein
Frank.


[Kuvert:]


Allemagne

Madame
Tilly Wedekind
Prinzregentenstrasse 50
München |


TanzenTilly Wedekind nahm Tanzunterricht (siehe ihre Korrespondenz mit Frank Wedekind seit dem 1.7.1914). nicht unterbrechen

Gruß Frank


HOTEL MADISON
48, RUE DES PETITS CHAMPS
(ANGLE DE L’AVENUE DE L’OPÉRA) PARIS

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift. Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 18 cm. 4 Seiten beschrieben. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht. Kuvert. 14,5 x 10 cm. 2 Seiten beschrieben. Mit Textaufdruck. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Name „Gerhäuser“ ist in allen vier Fällen mit grüner Tinte durchgestrichen (der Brief ist mit Bleistift geschrieben) – die Streichungen erfolgten wohl „post scriptum [...] bei Ablage des Briefes durch Wedekind.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 260] Die Empfängeradresse auf der Vorderseite des Kuverts ist mit Tinte geschrieben. Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 25 Centimes frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Es handelt sich hier um den zweiten unter dem Datum 8.7.1914 an seine Frau geschriebenen Brief Wedekinds.

Uhrzeit im Poststempel Paris: „18.30“ (= 18.30 Uhr).

  • Schreibort

    Paris
    8. Juli 1914 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    Paris
    8. Juli 1914 (Mittwoch)

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke in drei Bänden. Band 3: Prosa. Erzählungen, Aufsätze, Selbstzeugnisse, Briefe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Manfred Hahn
Verlag:
Berlin: Aufbau-Verlag
Jahrgang:
1969
Seitenangabe:
617-618
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 335-336 (Nr. 482).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 8.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

11.01.2023 00:50