München, 28.I.1909.
Sehr geehrter HerrIm Erstdruck hat Fritz Strich als Adressat angegeben: „An Albert Dornblatt.“ [GB 2, S. 216] Albert Dornblatt (nicht näher identifiziert) hatte keinen Namen in der Berliner Theaterszene und war auch kein Student (eine Person dieses Namens ist in den Matrikeln der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin nicht verzeichnet), er dürfte aber zum Kreis um die Akademische Bühne gehört haben, da der Briefinhalt sich ganz auf Wedekinds Verbindungen zu diesem studentischen Verein, der sein Jugendstück „Die junge Welt“ (1897) aufzuführen plante, bezieht. Möglicherweise ist die Adressatenangabe im Erstdruck auch irrtümlich erfolgt; dann wäre der namentlich nicht angesprochene Herr nicht Albert Dornblatt, sondern Fritz Schaie, der Vorsitzende der Akademischen Bühne, und bei dem vorliegenden Brief würde es sich um eine Druckfassung des handschriftlich nicht überlieferten Begleitschreibens an die Akademische Bühne zu dem an sie gerichteten offenen Brief handeln, der handschriftlich nur in Entwurfsfassungen überliefert ist [vgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin, 28.1.1909].!
Zu meinem großen Bedauern sehe ich mich genöthigt, Ihre für
mich so schmeichelhafte AbsichtDie Akademische Bühne hatte die Absicht, Wedekinds Lustspiel „Die junge Welt“ aufzuführen, wie die Presse meldete: „Die Akademische Bühne ist von Frank Wedekind autorisiert worden, seine satirische Komödie ‚Die junge Welt‘ zum ersten Male zur Darstellung zu bringen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 40, 23.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. (3)], meine „Junge Welt“ zur Aufführung zu bringen,
mit beigelegtem offnen Briefvgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin, 28.1.1909. zu beantworten. Ich bitte Sie nun nur, nicht
irgendwelche Animosität Ihren so werthvollen künstlerischen Bestrebungen
gegenüber dahinter zu vermuthen. Ich möchte mir wirklich nur das traurige
Erlebnis ersparen, meine Jugendarbeit durch den unflätigen Schmutz der Berliner
TageskritikAnspielung auf ihn betreffende Theaterkritik im „Berliner Tageblatt“, auf den ihn kränkenden Verriss seines Stücks „Musik“ durch den Feuilletonredakteur Fritz Engel [vgl. F.E.: Wedekinds „Musik“. Erste Aufführung im „Kleinen Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 558, 1.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2)], die dieser selbst als „abfällige Kritik“ [fe.: Frank Wedekind und die „Akademische Bühne“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 54, 30.1.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] bezeichnet hat und die bei Wedekind heftige briefliche Äußerungen gegenüber dem „Berliner Tageblatt“ provoziert hatte [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 2.11.1908 und 4.11.1908]. geschleift zu sehen.
In vorzüglichster Hochschätzung Ihr Frank Wedekind.