[1. Briefentwurf:]
An den Vorstand des Vereines Akademische Bühne.
Berlin.
Sehr geehrter HerrFritz Schaie, der Vorsitzende der Akademischen Bühne in Berlin [vgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin, Fritz Schaie, 18.9.1908].
Den/ie/ flegelhafte Ausdrucksweise des Berliner
Tageblattes ‒
veranlaßt mich zu der die
ergebene BitteEs folgt ein Einweisungszeichen. an Sie zu
richten, von der geplanten
(beabsichtigten) Aufführung meiner KomödieDie Presse hatte gemeldet: „Die Akademische Bühne ist von Frank Wedekind autorisiert worden, seine satirische Komödie ‚Die junge Welt‘ zum ersten Male zur Darstellung zu bringen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 40, 23.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Dann war angekündigt: „Die Premiere von Frank Wedekinds satirischer Komödie ‚Die junge Welt‘, die, wie bereits bekannt gegeben, als Veranstaltung der Akademischen Bühne im Hebbel-Theater stattfindet, ist auf Freitag, den 12. März, angesetzt worden. Dargestellt wird das Werk vom Ensemble des Hebbel-Theaters. Die Inszenierung leitet Direktor Dr. Robert. Das Vorspiel des Stückes, das in einem Mädchenpensionat spielt, gelangt gleichfalls zur Darstellung. Die Aufführung wird nicht wiederholt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 111, 2.3.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Der Erfolg der Berliner Premiere war mäßig [vgl. KSA 2, S. 757f.]; die Kritik im „Berliner Tageblatt“ schrieb nun nicht Fritz Engel, sondern Monty Jacobs, der meinte: „Alles in allem, es war eine Kraftverschwendung. Die Akademische Bühne war nicht gut beraten, als sie gerade Wedekinds Erstling ‚Die junge Welt‘ auswählte.“ Er meinte aber auch, „daß Wedekinds schmerzgeborener Galgenhumor zu seinem Rechte kam.“ [M.J.: Akademische Bühne. „Die junge Welt“, Komödie von Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 131, 13.3.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2-3)] Die junge Welt, die Sie Ihr Verein in Aussicht genommen hat,
gütigst absehen zu wollen
Ich weiß die Ehre gewiß zu schätzen
Mögen Sie mich immerhin für einen besondeSchreibversehen, statt: besonders. empfindsamen oder
besonders eitlen Menschen halten, aber ich habe meine Stücke | nicht geschrieben, um
mich öffentlich beschimpfen zu lassen.
Meine Junge Welt gieltSchreibversehen, statt: gilt. mir heute als eine anspruchslose
Jugendarbeit von ziemlich schwerfälligem Aufbau.
Ich will mein Stück „Die junge Welt[“] in Berlin lieber
nicht aufgeführt wissen als es der
F/f/legelhaften Ausdrucksweise des Berliner Tageblattes
preisgegebenEs folgt ein wieder gestrichenes Einweisungszeichen. sehen.
ausgesetzt sehen.
[2. Briefentwurf:]
Offener BriefDer gekürzt im „Berliner Börsen-Courier“ veröffentlichte offene Brief Wedekinds wurde auch außerhalb Berlins registriert – so in München: „Frank Wedekind hat seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ in Berlin überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ (deren Uraufführung am 22. April 1908 im Münchner Schauspielhause stattfand) durch einen offenen Brief zurückgezogen. Der Brief enthält nach dem Börsencourier eine ziemlich scharfe Selbstkritik, eine viel schärfere aber an einem Berliner Blatte, dem Berl. Tageblatt. Dieses hatte seinerzeit Wedekinds Musik ‚verrissen‘ und Wedekind möchte ihm nun offenbar nicht auch noch die junge Welt ausliefern.“ [Kleine Chronik. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 51, 2.2.1909, Vorabendblatt, S. 2].
Meine Komödie Die junge Welt vereinigt mit einem plumpen unbeholfenen Aufbau eine dürftige
blutlere Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens
Komödie der LiebeWedekind hatte am 24.7.1889 notiert: „Ibsens ‚Komödie der Liebe‘ gekauft. Sie wird einige Evolutionen in meinem Plan hervorrufen.“ [Tb] Mit dem Plan war „Kinder und Narren“ (1891) gemeint, später umgearbeitet in „Die junge Welt“ (1897). Wedekind hat die deutsche Erstausgabe von Ibsens Stück (1862 im norwegischen Original erschienen) erworben, „Comödie der Liebe. Comödie in drei Akten“ (1889), die autorisierte deutsche Übersetzung, die im Verlag S. Fischer in Berlin herauskam. Ibsens Stück war allerdings nur unter Vorbehalt eine Quelle für Wedekinds Lustspiel, da sich „Analogien [...] auf die Personenkonstellation“ beschränken und „während Ibsen das Verhältnis der Geschlechter und die Stellung des Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen betrachtet, greift Wedekind mit den Themen Emanzipation und Naturalismus zeitgenössische, zeitgebundene Sujets auf und beleuchtet sie ironisch.“ [KSA 2, S. 663] entstanden. Trotzdem ist die Arbeit nicht ganz humorlos und
könnte bei guter Darstellung der männlichen HauptrolleFranz Ludwig Meier [vgl. KSA 2, S. 184], die männliche Hauptfigur in „Die junge Welt“, in der der Naturalist Gerhart Hauptmann persifliert ist [vgl. KSA 2, S. 666f.]. als harmlose
versöhnliche Satyre wirken.
Ich ersuche Sie geehrter Herr meinen aufrichtigen Dank und
meine besten Wünsche zum Gelingen Ihre künstlerischen Bestrebungen
entgegenzunehmen.
Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung, |
Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir diese
Thatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, im Ton
unflätigster SchimpfereienWedekind bezieht sich auf ihn kränkende Veröffentlichungen über ihn im „Berliner Tageblatt“ [vgl. F.E.: Wedekinds „Musik“. Erste Aufführung im „Kleinen Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 558, 1.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2); F.E.: Frank Wedekind zürnt. In: Berliner Tageblatt, Berlin, Jg. 37, Nr. 562, 3.11.1908, Abend-Ausgabe, S. (2-3); fe: Herr Wedekind irrt. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 571, 8.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (3)], die alle Fritz Engel verfasst hat; seinem Ärger darüber gab er brieflich Ausdruck [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 2.11.1908 und 4.11.1908]. Fritz Engel äußerte sich prompt zu dem im „Berliner Börsen-Courier“ im Auszug abgedruckten offenen Brief, obwohl dort und auch in der redaktionellen Vorbemerkung das „Berliner Tageblatt“ nicht explizit genannt ist: „Im ‚Berliner Börsenkurier‘ lesen wir, daß Herr Frank Wedekind seine dem Verein ‚Akademische Bühne‘ überlassene Komödie ‚Die junge Welt‘ im Hinblick auf das ‚Berliner Tageblatt‘ zurückgezogen habe. Herr Wedekind spielt in dem uns nicht vorliegenden Briefe an den genannten Verein offenbar auf die an dieser Stelle erschienene abfällige Kritik seines Sittengemäldes ‚Musik‘ an, und er scheint dabei einen Topf voll echt Wedekindscher Uebelgerüche nach unserem Referenten zu schleudern. Uns läßt das sehr kalt, wie uns auch die Briefe kalt gelassen haben, die Wedekind im Laufe der letzten Monate direkt an uns gerichtet hat. Vor den Strafrichter gebracht, würden sie Herrn Wedekind einige Unannehmlichkeiten bereiten, uns selbst erschienen sie als die Aeußerungen eines Gehirns, das in beklagenswerter Weise alle Urteilsfähigkeit und gesellschaftliche Kultur eingebüßt hat, um sich dafür mit einer abnormen Selbstanbetung zu füllen. Wenn Wedekinds neues Stück nun nicht zur Aufführung kommt, so ist das vielleicht in seinem eigenen Interesse zu beklagen, denn niemand wäre mehr als wir bereit gewesen, über einem neuen guten Werk die strafwürdige ‚Musik‘ zu vergessen und Herrn Wedekind die Achtung zu erweisen, die wir dem Dichter von ‚Frühlingserwachen‘ sogar noch in jenem Referat über die ‚Musik‘ unter lebhafter Berufung auf seine Gesamtpersönlichkeit bezeugt haben.“ [fe.: Frank Wedekind und die „Akademische Bühne“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 54, 30.1.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] Dazu erfolgte eine Korrektur: „Zu der Debatte über Wedekinds Schauspiel ‚Die junge Welt‘ teilt unser fl.-Kritiker mit, daß er sich eines Irrtums bezichtigen muß. Das Stück ist nicht neu, sondern schon im Jahre 1897 entstanden. An der sachlichen Stellungnahme gegenüber dem Verfasser wird durch diese Berichtigung natürlich nichts geändert.“ [Theaterchronik. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 57, 1.2.1909, Abend-Ausgabe, S. (3)] öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll.
[Druck im
„Berliner Börsen-Courier“:]
[...]
Herr Wedekind bittet:
„... von der beabsichtigten Aufführung meiner Komödie ‚Die
junge Welt‘ Abstand nehmen zu wollen. Die Gründe, die mich zu dieser Bitte
bestimmen, sind folgende: Meine Komödie ‚Die junge Welt‘ vereinigt mit einem
schwerfälligen szenischen Aufbau eine blasse wenig lebenswarme
Charakterzeichnung und ist in unmittelbarer Anlehnung an Ibsens ‚Komödie der
Liebe‘ entstanden. Trotzdem halte ich die Arbeit für nicht ganz humorlos und
glaube, sie könnte bei guter Darstellung der männlichen Hauptrolle als eine
heitere harmlose Satire wirken. Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum ich mir
diese Tatsachen, über die ich mir seit fünfzehn Jahren vollkommen klar bin, …
öffentlich zum Vorwurf machen lassen soll. Ich bitte Sie, geehrter Herr, davon
überzeugt zu sein, daß ich die Ehre, die Sie meiner Komödie durch die geplante
Aufführung zu erweisen gedachten, im höchsten Maße zu schätzen weiß. Aber so
anspruchslos mir die Arbeit auch erscheint, ich stehe ihr doch zu nahe, als daß ...[“]