Donnerstag,
8.X.14.
Innigst geliebter Frank,
heute war ich den ganzen Tag mit den Kindern spazieren, es war
ein herrlicher Tag! Gestern abends war ich mit Frl. Marion bei Frl. Ritschergemeinsam mit Blanka Marion bei der Schauspielerin Helene Ritscher (Widenmayerstraße 50) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 565], Mitglied des Münchner Hofschauspiels [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1915, S. 503]. u. war es sehr gemütlich. Sie war
sehr lustig (Frl. Ritscher) u. erzählte viel von ihren VerwundetenHelene Ritscher „sprach sehr wahrscheinlich von Schauspieler-Kollegen“ vom Münchner Hoftheater, die „als Verwundete [...] vom Schlachtfeld zurückkehrten.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 269]. Hr. Dr. HuberDr. phil. Friedrich Markus Huebner in München (Franz Josephstraße 11) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 299], der die neu gegründete Münchner Zeitschrift „Zeit-Echo. Ein Kriegstagebuch der Künstler“ redaktionell betreute; er war ihr eigentlicher „Initiator“ und „erster Schriftleiter [...] von Oktober 1914 bis April 1915.“ [Hubert Roland: Leben und Werk von Friedrich Markus Huebner (1886-1964). Vom Expressionismus zur Gleichschaltung. Münster 2009, S. 57] „Das erste Heft erschien am 21.10.1914.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 270] Die Presse berichtete: „‚Zeitecho, ein Kriegstagebuch der Künstler‘, heißt eine neueste kleine Halbmonatsschrift, die im Graphik-Verlag, München, G.m.b.H., erscheint. [...] Das erste Heft enthält schriftstellerische Beiträge von Michael Georg Conrad, Eduard Graf Keyserling, Rainer Maria Rilke, Annette Kolb [...]. Zu den Mitarbeitern gehören außer diesen u. a.: die Schriftsteller Theodor Däubler, Max Halbe, Thomas Mann, Frank Wedekind [...]. Als Herausgeber zeichnet Otto Haas-Heye; verantwortlich für die Schriftleitung ist F. M. Huebner“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 570, 6.11.1914, Morgenblatt, S. 2]. Wedekind hat in der Zeitschrift nicht publiziert. heißt er
glaub’ ich, hat telephoniert. Er hätte mit Dir wegen eines Artikels gesprochen
für seine Zeitschrift. Das 1. Heft erscheint bald, sie hätten Deinen Artikel
gern dafür gehabt, doch wäre die Sache sehr eilig. Wo hast Du übrigens die
ExemplareWedekinds am 18.9.1914 in den Münchner Kammerspielen gehaltener Kriegsvortrag ist am 21.9.1914 im „Berliner Börsen-Courier“ unter dem Titel „Kriegsworte Frank Wedekinds (Vortrag des Dichters, gehalten in der Vaterländischen Feier der Münchner Kammerspiele)“ [KSA 5/II, S. 520-524] sowie am 27.9.1914 im „Berliner Tageblatt“ in anderer Fassung unter dem Titel „Deutschland bringt die Freiheit“ [KSA 5/II, S. 525-529] erschienen [vgl. KSA 5/III, S. 496f.]. Deines | letzten Vortrags? Ich hätte ihn so gern gelesen!
Freue mich sehr auf Deine Nachrichten aus Lenzburg, habe bis
jetzt nur die Karte vom 5.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 5.10.1914.
Innigste Küsse von uns Dreien, Deine Tilly
Abs: Wedekind
München. Prinzregentenstr. 50 III.
Königreich Bayern
Postkarte
Herrn
Frank Wedekind
Lenzburg.
Canton Aargau. Schweiz.