Hoffentlich hat Dich mein
gestriger Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 4.7.1914. nicht verstimmt.
T. W.
München,
Sonntag, 5.VII.14.
Mein innigst geliebter Frank,
verzeih’ wenn ich Dir heute nur ein Kärtchender auf zwei Briefkarten geschriebene vorliegende Brief. schreibe. Ich
bin schon sehr müde u. gehe dann gleich ins Bett. Dein lieber, lieber Brief von
gestern d. 4.
Julivgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.7.1914. hat mich wieder etwas beruhigt u. hat mir sehr, sehr wohl getan! Ja wenn
wir im Herbst zusammen nach Paris fahren würden, das wäre freilich sehr schön!
Ich freue mich sehr, dass Du Mati so vergnügt angetroffen hast.
Es ist schade | dass sie gerade jetzt nach Lenzburg geht. Wie geht es übrigens Mama? Ich habe geschriebenTilly Wedekinds Brief an ihre Schwiegermutter Emilie Wedekind in Lenzburg ist nicht überliefert., aber noch nichts
gehört. Von zu Hause höre ich auch absolut nichts, komme allerdings auch nicht
dazu zu schreiben, weil ich immer nur an Dich schreibe.
Vormittags habe ich getanzt, Nachmittags war ich mit den
Kindern. Jenny kam auch mit Hypolit u. die Sandl, die ich schon eine Ewigkeit
nicht gesehen hatte. Überhaupt werde ich möglichst selten eine allein einladen. So zu Dritt spricht |
man über allgemeine Dinge u. nicht über seine eigenen Angelegenheiten. Die
Kinder waren sehr, sehr lieb. Erst spielten sie Ball, dann fuhren sie Carussel,
die Kleine saß auch schon auf einem Pferd. Zu Hause tanzten sie nach dem
GramophonSchreibversehen, statt: Grammophon. Wedekind notierte am 19.6.1914 in München: „Ich kaufe ein Grammophon.“ [Tb] u. Anna Pamela sang uns alle ihre Schullieder vor. Dann brachte ich
die Kleine zu Bett, während die Großen unter Jenny’s Aufsicht zeichneten u. dann aßen wir mit den BeidenSchreibversehen, statt: beiden. Großen | zu Abend. Das war ein
besonderes Fest für Anna Pamela, dass sie bei Tisch Abendessen durfte. Für die
Kleine ist sie rührend besorgt, fasst sie beim Spazieren gehen immer an der
Hand, damit ihr nichts geschieht. Morgen lerne ich Bolerospanischer „Solotanz in gemäßigtem Tempo, bei dem sich der Tänzer selbst mit Gesang und Kastagnetten oder Tamburin begleitet“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 251]., der CzardasCzárdás (Csárdás), ungarischer Volkstanz. Wedekind schrieb 1914 ein Lied „Scardas“ [KSA 1/III, S. 210; vgl. KSA 1/IV, S. 1046-1048]. geht
schon besser, ich habe noch einige sehr hübsche Schritte dazu gelernt.
Anna Pamela schreibt Dir morgennicht überlieferter Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1914. wieder. Beide Kinder schicken
Dir viele BusserlnKüsse..
Innigst küsst Dich,
Deine Tilly
[am linken Rand, um 90
Grad gedreht:]
Anbei die AnweisungPostanweisungsformular.. Wenn Du unterschreibst kann ich’s abholen.