München,
Sonntag.
24.V.14.
Geliebter Frank,
heute war ein ziemlich verregneter Tag, Nachmittags waren wir
zu Hause. Erst las ich, dann um 5 Uhrum 17 Uhr. kam Jenny mit Hypolit und verlebten wir
einen sehr gemütlichen Nachmittag. | Am MontagPremiere des „Marquis von Keith“ war im Rahmen des Wedekind-Zyklus vom 31.5.1914 bis 14.6.1914 an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin am 1.6.1914 (Montag), davor aber die Premiere von „Franziska“, wie im von Tilly Wedekind gelesenen „Berliner Tageblatt“ (siehe unten) auch angekündigt war: „In den Kammerspielen des Deutschen Theaters beginnt am Sonntag, 31. Mai, der Wedekind-Zyklus mit der Premiere von ‚Franziska‘, der am Montag eine Neueinstudierung des ‚Marquis von Keith‘ folgt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 53, Nr. 258, 23.5.1914, Abend -Ausgabe, S. (2)], las ich, soll schon „Marquis“
sein? Aber da würde ja eine Probe für mich genügen! Morgen erfahre ich ja vielleicht
von Dir, wann ich kommen muss. Die paar Tage habe ich jedenfalls noch genug zu
tun.
Ich las auch die Notiz„Zu Frank Wedekinds 50. Geburtstag bereiten Freunde und Verehrer des Dichters eine Spende vor, die als eine den Namen des Dichters tragende Stiftung Verwendung finden soll. Außerdem wird eine literarische Ehrengabe vorbereitet, in der namhafte Schriftsteller ihre Meinung für oder wider Wedekind aussprechen und begründen werden. Endlich besteht der Plan, eine Wedekind-Plakette herstellen zu lassen, um auch künstlerisch die Erinnerung an den 50. Geburtstag des Vielumstrittenen festzuhalten.“ [Wedekind-Ehrungen. In: Berliner Tageblatt, Jg. 53, Nr. 258, 23.5.1914, Abend-Ausgabe, S. (3)] über die geplante Ehrung für Dich! Ich | habe sie mir aufbewahrt. Das ist
mein Mann! Und ich mache ihm nichts wie Unannehmlichkeiten! Alle wollen Dich ehren
u. Dir etwas schenken u. was kann ich Dir geben?
Hätte man doch nur immer sein inneres Gleichgewicht, dann könnte
man einander so | viel
mehr sein! Warum hat man das so selten u. quält sich u. andere. Das innere
Gleichgewicht, ich glaube fast, dass es auch Dir fehlt, nicht nur mir. Wie
erlangt man es, um anderen auch wirklich man/l/ eine Freude machen zu können?
Innigsten Kuss, Deine Tilly.