Société du
Musée
à
ZURICH
Museumsgesellschaft
in
ZÜRICH
Den 190
Mein lieber Frank!
Du scheinst an Dr. v. Monakow nicht geschriebenDonald Wedekind hatte seinen Bruder zuletzt aufgefordert, sich über seinen psychischen Gesundheitszustand selbst bei dem behandelnden Arzt in Zürich zu erkundigen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.2.1908]. zu
haben und nachdem ich nun vier oder fünf Consultationen gehabt und die Aussagen
des Arztes soweit dahingehen, daß ich nicht krank, sondern nur durch meine
äußeren Lebensverhältnisse in einer begreiflichen Depression bin, möchte ich gerne
mit dem Verfahren abschließen. Ein Verlassen Zürichs und ein Niederlassen an
einem kleinen, ruhigen Ort würde meinem Zustand unbedingt sehr zu Gute kommen,
einstweilen aber | bin ich noch bis Ende April gebunden und muß eben die
verschiedenen Klippen zu umschiffen suchen, die sich aus dem Umstand eines
unzulänglichen Mietszimmers, aus jenem einer unregelmäßigen Lebensweise und
einer durch die drohende, vollkommene Subsistenzlosigkeit nur zu leicht
erklärlichen Nervosität ergeben.
Die Schritte, die ich bis dahin in Berlin und hier
getan, blieben erfolglos. Als Charakteristicum meines Verhängnisses lege ich
eine KarteDie beigelegte Karte ist nicht überliefert, möglicherweise handelte es sich um ein Horoskop. Zehn Tage vor Donald Wedekinds Geburt war der 25.10.1871. bei, die ich vor einigen Tagen erhalten. Sie zeigt Dir, wie ich
offenbar genau zehn Mal vierundzwanzig Stunden zu spät auf die Welt gekommen
bin, was ich meinetwegen auch noch als ganz selbstverständlich auf mein |
Schuldconto nehme. Indessen, Hoffnungen, eine sichere Position zu erlangen,
sind vorhanden und wenn ich sicher wüßte, daß ich mit Deiner und Miezes Hülfe
für die Zeit des Ausfalles rechnen kann, so würde mir das auch jetzt diese
schweren Wochen einer Übergangsperiode nach einem wirklichen Schicksalsschlag
erleichtern. Aber auch jetzt bedürfte ich noch einer einmaligen,
augenblicklichen Subvention, erstens um den überflüssig gewordenen, ärztlichen
Verkehr abbrechen zu können, dann weil ich für den täglichen Bedarf einiger
Geldmittel benötige, bis ich am 15. dieses Monats mein halbes Gehalt wieder
ausgezahlt bekomme. Willst Du noch einmal einspringen? Ich weiß, daß, wenn Du
es kannst, Du es | auch tust. Und damit verbleibe ich dann, bis zur endgültigen
Bereinigung meiner Zürcher Verhältnisse im negativen oder positiven Sinne, das
heißt, bis zum ersten Mai, da vor dem reinen Nichts eine Wendung in dieser oder
jener Richtung kommen muß, mit treuen Grüßen Dein Bruder
Donald
Zürich, d. 3. März 1908
17. Mythenstraße