T. W.
Lenzburg,
Donnerstag.
4. Juli 12.
Innigst geliebter Frank,
warum hör ich nichts von Dir? Bist Du aus irgend einem Grunde
verstimmt? Ich habe Dir wirklich keinen Grund dazu gegeben. Deine Karte von
Sonntagvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.6.1912. habe ich Montag abends erhalten, seitdem nichts. Hoffentlich kommt
heute noch etwas u. meine Besorgnisse sind grundlos. Sonst wäre mir morgen der
ganze Jugend Festtag verdorben. |
Heute ist das Wetter etwas besser u. hoffentlich ist es
morgen schön. Frau Henckell war gestern abends nochmals da. Sie hatte das
Kleidchen umgetauscht u. nun hat Anna Pamela wirklich ein reizendes Jugend
Festkleidchen. Ich freue mich darauf meine Kinder morgen recht hübsch machen zu
können. Frau Henckell ist wirklich rührend, Mama sagt es auch.
War es Dir vielleicht nicht recht, dass ich erwähnte, sie
wolle mir so gern Luzern zeigen? Ich fahre so auf keinen Fall mit. |
Oder war es Dir nicht angenehm zu hören, dass die Züricher vielleicht
kommen? Auch darüber kann ich Dich beruhigen. Armin VaterFrank Wedekinds Bruder Armin Wedekind in Zürich, dessen Sohn ebenfalls Armin hieß. kann nicht weg u. da
kommen die andern auch nicht. Und übernächsten Sonntag sind wir ja schon weg.
Mieze u. Eva kommen Samstag nachts nach WildeggErika Wedekind und ihre Tochter Eva Oschwald kamen mit dem Zug nach Wildegg, die etwa 4 Kilometer „nördlich von Lenzburg gelegene Gemeinde, die seit 1858 an das Schweizer Eisenbahnnetz angebunden war.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 188] u. fahren von
da mit dem Wagen hierher. Es wird alles für sie hergerichtet u. dann wird es ja
sehr lebendig bei uns werden. Auch Ännchen ist sehr heiter, u. diese lustigen,
harmlosen Unterhaltun|gen am Abend tun mir sehr wohl. Mati bat mich um ihr
Poesie Albumnicht überliefert. aus der Bibliothek, da sie gern einige Geschäftsfreunde von EugénEugène Perré, der Ehemann von Emilie (Mati) Wedekind, war „Champagner-, Wein- und Spirituosenfabrikant“ [KSA 7/II, S. 807].
die ihr gefallen hineinschreiben lassen möchte.
Mama wollte es nicht suchen: So schlichen Ännchen u. ich uns hinauf u.
entdeckten es auch glücklich. Mama kam zufällig auch gerade hinauf u. wir
freuten uns sehr, dass wir sie überlistet haben. Es wäre schade, wenn diese
heitere Stimmung durch ein MissverständnissSchreibversehen, statt: Missverständnis. zerstört würde.
Sehr behaglich ist mir der Gedanke auch nicht, Dich so ohne Bedienung
zu wissen. Bist Du doch vielleicht dadurch verstimmt? Ich komme ja jeden Tag,
wenn Du willst!
[um 90 Grad gedreht am
linken Rand:]
In innigster Liebe, Deine Tilly.
[Seite 1 um 90 Grad gedreht am linken Rand:]
Grüße von Mama u. Ännchen,
Küsse von den Kindern.