T. W.
Steinbrüchli,
1. Juli 1912.
Mein geliebter Frank,
ich danke Dir vielmals für Deine liebe Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.6.1912.! Ich bin schon etwas
in Sorge wie Du es in München finden wirst, u. ob Du Dich wohl fühlen wirst.
Da gestern AnnaAnna Wölfel, „das Münchner Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 125] nicht fortgehen wollte, nahm ich doch das Anerbieten
von Frau Henckell an u. fuhr mit ihr u. ihrem Mann nach Tisch nach Aarau.
Drüben trafen wir die Braut ihres SohnesMargot Münch, die Verlobte von Gustav Ferdinand Zeiler, dem Stiefsohn von Gustav Henckell und Sohn aus erster Ehe von Emilie Henckell mit Gustav Zeiler, „dem verstorbenen Schulfreund und Kompagnon von Gustav Henckell.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 180] u. deren Bruder, der auch mit ihr
gekommen war. Sonst begrüßte Frau Henckell noch mehrere Bekannte, aber ich
kenne | ja fast niemanden. Die Braut ist sehr einSchreibversehen, statt: ein sehr.
nettes junges Mädchen. Der Nachmittag verlief wirklich sehr hübsch. Die größte
Aufregung war natürlich bis der junge Zeiler drankam. Bei der
SpringkonkurenzSchreibversehen, statt: Springkonkurrenz (beim Springreiten, eine der Disziplinen der Pferderennen in Aarau). hat er mit noch einem andern den 1. Preiß gewonnen.
Wir aßen nach dem Rennen bei „Gerber“im Restaurant des Hotel Gerber Terminus in Aarau (am Bahnhof gelegen). zu Abend, dann fuhr ich
wieder mit dem Ehepaar Henckell zurück u. war bald nach 8 Uhr zu Hause. Sie
lassen Dich auch vielmals grüßen. Frau Henckell scheint große Sympathie für
mich zu haben, da sie mich so gern mitnimmt. |
Samstagam 29.6.1912, an dem Anna (Ännchen) Wedekind, die inzwischen 22 Jahre alte Tochter von Frank Wedekinds Bruder William (Willy) Wedekind und seiner Frau Anna (geb. Kammerer), auf Besuch zu ihrer Großmutter Emilie Wedekind nach Lenzburg kam, bei der sie aufgewachsen war. Nachmittag war Ännchen gekommen. Sie ist wirklich sehr
lieb u. sympathisch. Sie spricht viel u. lustig. Samstag machten wir mit den
Kindern zusammen einen Spaziergang, u. ich glaube, ich werde mich recht gut mit
ihr verstehen. Warst Du in Bamberg? Wie ist die Stadt? Dann war es mit Guttman’s
Telegrammvgl. Emil Gutmann an Wedekind, 27.6.1912. also garnicht so eilig. Hast Du Dich eigentlich entschieden, ob Du
Guttman oder FrankfurterWedekind arbeitete von 1908 bis 1913 mit Emil Gutmann und seinem Konzertbüro Emil Gutmann in München (ab 1912 Berlin) zusammen, seit Anfang 1912 mit dem Theateragenten Eugen Frankfurter und seiner Gastspielvermittlung Süddeutsche Konzert-Direktion in Nürnberg, zu dem seit 1909 Kontakt bestand. als Vertreter behalten willst? Oder Beide?
Auf das Jugendfest sind wir schon sehr | gespannt. Anna Pamela
wird es sicher sehr gefallen. Ja ich dachte auch schon daran SchreibübungenAnspielung auf Wedekinds Bemerkung zu den Schreibfähigkeiten der fünfeinhalbjährigen Tochter Pamela [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.6.1912]. mit
ihr anzufangen. Heute z. B. ist ein trüber Tag u. man kann nicht soviel draußen sein.
Mama, Ännchen u. die Kinder grüßen vielmals!
Nun lebwohl Geliebter! Innigste Küsse,
Deine Tilly