Kennung: 3466

Lenzburg, 27. Juni 1912 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

T. W.


Lenzburg, 27.VI.12.


Innigst geliebter Frank,

es geht uns so gut, wie es uns nur gehen kann u. hoffen wir von Dir das Gleiche. Heute Vormittag machte ich mit AnnaAnna Wölfel, „das Münchner Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 125] u. den beiden Kindern einen Besuch bei Frau Henckell. Sie gab mir Modejournale u. Zeitungsausschnitte mit. Bertl schickte mir die Zukunft mit dem Artikel über DichMaximilian Hardens wortreiche Ausführungen unter der Überschrift „Wedekind-Spiel“ [vgl. Martin 1996, S. 211-219] in seiner Wochenschrift „Die Zukunft“ vom 22.6.1912 sind ein selbständiger Abschnitt aus dem größeren Artikel „Kinetoskop“ [vgl. Die Zukunft, Jg. 20, Nr. 38, 22.6.1912, S. 281-303], „bis auf kleinere Abweichungen ein komplettes Zitat von Hardens Wedekind-Essay vom 13.1.1906 [...]. Gekürzt und aktualisiert wurden einige Sätze zu Beginn, neu ist lediglich der letzte Absatz.“ [Martin 1996, S. 220] Darin wird in Anspielung auf den Wedekind-Zyklus am Deutschen Theater in Berlin vom 1. bis 16.6.1912 die Wirkung des Dramatikers auf „berliner Geschmäckler“ erörtert, mit dem abschließenden Hinweis, es werde „über die Cirkusphilosophie und über die Theaterweltanschauung des Aristophanes aus Hannover noch Manches zu sagen sein.“ [Die Zukunft, Jg. 20, Nr. 38, 22.6.1912, S. 202f.] u. andere Zeitungsausschnitte so war ich für Nachmittags versorgt. | Jetzt werde ich dann noch mit beiden Kindern ein Bischen spazieren gehen.

Viel kann ich Dir nicht erzählen, da wir ja nichts erleben. Unsre ganze Freude sind die Kinder. Anna Pamela ist sehr übermütig, das Kleine so herzig, es muss einem das Herz aufgehen! Abends verplaudere ich oft mit Mama eine gemüthliche Stunde.

Ich lese Schnitzler dessen 3 Bände1912 erschien von Arthur Schnitzler die siebenbändige Ausgabe „Gesammelte Werke in zwei Abteilungen“ (Abteilung I: „Die Erzählenden Schriften“ in 3 Bänden, Abteilung II: „Die Theaterstücke“ in 4 Bänden) im Verlag S. Fischer in Berlin, die geschlossen allerdings erst im Herbst als Neuerscheinung angezeigt war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 235, 8.10.1912, S. 12031]; insofern bleibt ungeklärt, welche 3 Bände mit Werken Schnitzlers Tilly Wedekind las. ich mitgenommen habe. Geld brauche ich vorläufig keines, | ich danke Dir vielmals! Ich habe Mama noch 125 FransSchreibversehen, statt: Francs (für: Franken). für die laufenden Wirtschafts Auslagen gegeben. Für Reise, HausmeisterinChristine Schreier (siehe die vorangehende Korrespondenz Tilly Wedekinds mit ihrem Mann seit dem 18.6.1912)., Wäsche etz. habe ich auch cirka 100 M. ausgegeben. 50 Frans habe ich von hier aus für Bezahlung von Rechnungen, Schuhe, Desinfection u. Krankenkasse, weggeschickt. Ich habe also noch über 70 Frans. Übermorgen, Samstag kommt Ännchenam 29.6.1912; Anna Wedekind ist die inzwischen 22 Jahre alte Tochter von Frank Wedekinds Bruder William (Willy) Wedekind und seiner Frau Anna (geb. Kammerer), knapp vier Jahre jünger als Tilly Wedekind., ich bin sehr neugierig auf sie. Sie wird bei Mama | schlafen. Morgen in 8 Tagen ist das Jugendfesttraditionelle jährliche Festveranstaltung in Lenzburg [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 181], die in diesem Jahr am 5.7.1912 stattfand, wie Wedekind in München notierte: „In Lenzburg ist Jugendfest.“ [Tb]. Mieze u. Eva erwartet Mama am 6. Juli. Du hast mir bis jetzt nichts über Deine Entschlüsse berichtet. – Das Berliner Tageblatt wollte ich auch bezahlendas Zeitungsabonnement; Wedekind hatte offenbar das „Berliner Tageblatt“ abonniert, das nach München geliefert wurde., dachte aber man könnte es vielleicht hierher schicken lassen, dass man es nicht immer umsonst bezahlt. Was meinst Du dazu?

Nun lebwohl; viele Grüße von Mama u. den Kindern an Dich sowie an die Andern. Auch von mir viele Grüße Walther, Mieze u. Evchen. In zärtlicher Liebe, Deine Tilly


[um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

Die Jüngste sitzt auf meinem Schoß u. sagt: Papa, Papa.

[um 90 Grad gedreht am rechten Rand:]

Anna Pamela strickt.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 18,5 cm. Mit aufgeprägtem Monogramm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Lenzburg
    27. Juni 1912 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Dresden
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
216
Briefnummer:
331
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 27.6.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 15:25