Postkarte
Carte postale. Cartolina postale
Herrn
Frank Wedekind
p.t. Oschwald
Dresden p.t.
Elisenstr. 3b.
Adresse des
Absenders. – Text.
Adresse de l’expéditeur. – Text.
Indirizzo del mittente. – Testo.
Mittwoch. 26.VI.12. Geliebter Frank, herzlichsten Dank für Deine
liebe Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.6.1912.! Gestern war ein herrlicher Tag! Ich machte Vormittags einen
längeren Spaziergang mit Anna Pamela hinterm Zuchthausdie 1864 gegründete, „am südlichen Stadtrand von Lenzburg gelegene Strafanstalt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 180]. in der Richtung nach
HalwilSchreibversehen, statt: Hallwil (etwa 7 Kilometer südlich von Lenzburg gelegen).. Nachmittags giengen wir mit Fanny Kadidja u. AnnaAnna Wölfel, „das Münchner Kindermädchen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 125] nach | dem Römersteineiner der sagenumwobenen „Granit-Findlinge“ im Wald „zwischen Lenzburg und Othmarsingen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 180]
u. noch weiter in den Wald, nach dem Abendessen giengen wir noch über den
Schloßberg. Gegen 9 Uhr kamen Herr u. Frau Henckelldas befreundete Ehepaar Gustav und Emilie Henckell in Lenzburg. mit denen wir noch eine
gemüthliche Stunde verplauderten. Am Sonntag ist Rennen in Aarau„ein Reitturnier mit verschiedenen Wettbewerben“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 180]., ihr SohnGustav Ferdinand Zeiler, der Stiefsohn von Gustav Henckell und Sohn aus erster Ehe von Emilie Henckell mit Gustav Zeiler, „dem verstorbenen Schulfreund und Kompagnon von Gustav Henckell.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 180] reitet
mit. Sie hat große Angst, während seine BrautMargot Münch (Tochter von Dr. med. Alfred Wilhelm Münch aus Basel, bis 1908 als Kurarzt in der Wasserheilanstalt Brestenberg bei Seengen, seither in Baden bei Zürich als Arzt tätig, im Schuljahr 1870/71 ein Schüler Friedrich Nietzsches), 1912 Heirat mit Gustav Ferdinand Zeiler. nicht so ängstlich sein soll. Sie
forderte mich auf mit ihnen hinüber zu fahren. Also FreitagWedekind hat seiner Frau geschrieben, er werde am 28.6.1912 (Freitag) mit Schwager und Schwester nochmals nach Hellerau fahren [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.6.1912]; den Presseankündigungen zufolge war klar, dass es sich um einen Besuch der ersten Vorstellung im Rahmen der lebensreformerisch ambitionierten Schulfeste vom 28.6.1912 bis 11.7.1912 im Festspielhaus der Gartenstadt Hellerau handelte. ist die
Veranstaltung in Hellerau. Das wird ja sehr interressantSchreibversehen, statt: interessant. sein! Ich bin sehr
neugierig wie es Dir gefällt. Bertl schrieb mirDer Brief von Tilly Wedekinds Bruder Dagobert Newes aus Berlin an sie ist nicht überliefert. Er hat seinen Schwager, als dieser in Berlin war, oft gesehen [vgl. Tb] und nahm auch an dem Bankett zu Ehren Frank Wedekinds am 18.6.1912 im Hotel Esplanade teil., dass er
nicht mehr zu Dir kam. Du wirst es hoffentlich nicht als Unart auffassen, Du
hattest ihn nicht aufgefordert u. er wollte nicht aufdringlich sein. Innigst küsst
Dich
Deine Tilly
[um 90 Grad gedreht am
linken Rand:]
Viele Grüße allen von uns allen.