München, 25.X.1916.
Sehr verehrter Herr Fritz Engel!
Wollen Sie mir erlauben, Ihnen aufrichtigen herzlichen Dank
für die ungemein treffsicheren ZeilenFritz Engel hat einen Kommentar (ohne Verfassersigle) zum Münchner Verbot des „Simson“ (siehe unten) veröffentlicht, in dem es heißt: „Von der bayerischen Zensur ist Frank Wedekinds ‚Simson‘ […] für München unterdrückt worden, und das Verbot erinnert sehr stark an die historisch gewordene Äußerung jenes Berliner Polizeipräsidenten, dem ‚die ganze Richtung nicht paßte‘. Auch bei Wedekinds starker Dichtung ist von dem Münchener Zensurgewaltigen ‚der ganze Geist des Stückes‘ beanstandet worden. […] Die Angelegenheit spielt auch ein wenig nach Berlin herüber, denn der Ministerialreferent […] machte einige Bemerkungen, die auch uns angehen. Wenn er nach dem Bericht der ‚München-Augsburger Abendzeitung‘ gesagt hat, ‚das bayerische Volk sei künstlerisch nicht so reif, wie das von Berlin und Wien‘, so verlangt es nicht nur die Bescheidenheit, sondern die Wahrheit, auszusprechen, daß niemand in Berlin sich eine solche geistige Überlegenheit über die Süddeutschen und insbesondere über die Münchener zuerkennt. Wenn man im Ministerium ferner gesagt hat, ‚das Publikum der Berliner Kammerspiele sei kein normales, sie würden künstlerisch nur von Theaterkritikern besucht‘ – so wäre einmal dazu zu bemerken, daß dieser Satz nicht die letzte Klarheit hat, die man von einer Regierungsäußerung verlangen darf, daß weiterhin die Besucher der Berliner Kammerspiele sich von einem Geheimrat nicht werden dahin abschätzen lassen, ob sie normal oder nichtnormal sind, drittens, daß Wedekinds ‚Simson‘ überhaupt nur einige wenige Male in den Kammerspielen gespielt wurde, dagegen in einer langen Reihe von Abenden im Lessing-Theater, dessen Publikum nun noch auf eine Note im Betragen aus dem Munde der Münchener Zensurpolizei wartet. Im übrigen scheint man in München den künstlerischen Wert des ‚Simson‘ gar nicht in Frage gestellt zu haben. Es sind wieder einmal ‚sittliche Bedenken‘ maßgebend gewesen“ [„Die ganze Richtung.“ In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 546, 24.10.1916, Abend-Ausgabe, S. (3)]. auszusprechen, die Sie über das
SimsonverbotWedekind hielt am 10.10.1916 fest: „Simson verboten.“ [Tb] Joachim Friedenthal informierte seine Zeitung über das von der Münchner Polizeidirektion erlassene Verbot [vgl. KSA 7/II, S. 1332, 1403-1406]: „Unser Münchener Korrespondent telegraphiert: Das Drama ‚Simson‘ von Frank Wedekind, das hier im Schauspielhaus aufgeführt werden sollte, ist verboten worden, obgleich es in Berlin und Wien und anderen Orts unbeanstandet gespielt werden konnte. Das Verbot wurde, wie ich erfahre, trotz der Fürsprache des früheren Generalintendanten v. Possart, des Mitgliedes des Zensurbelrats beim Ministerium des Innern, und trotz des Ministers eigener Aufmerksamkeit für das Werk erlassen.“ [Frank Wedekinds „Simson“ verboten. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 521, 11.11.1916, Morgen-Ausgabe, S. (3)] schreiben. Seitdem das Stück existirt, verdanke ich Ihrem gütigen
Wohlwollen dafür soviel, daß mich die kühle Ablehnung des Publicums nicht mehr
beirren kann. In Ihrer Zusammenfassung des Münchner Feuilletonsder Artikel „Eine bayerische Theatergeschichte oder Zwei Ministeraudienzen Frank Wedekinds“ am 21.10.1916 in der „München-Augsburger Abendzeitung“ [vgl. KSA 7/II, S. 1406], aus dem Fritz Engel zitiert hat (siehe oben). vereinigen Sie
die wesentlichen Punkte zu solcher Wirksamkeit, daß mir beim Lesen das Herz im
Leibe lachte. Hoffentlich gelingt es mir, mich dankbar zu erweisen, indem ich
Ihre künstlerische Billigung wieder einmal zu gewinnen vermag.
In ausgezeichneter Hochschätzung Ihr ergebener
Frank Wedekind.