Grd.
Hôtel Deutsches Haus
Otto Kahl
Vornehmstes und grösstes Hôtel am Platz
Ruhige Lage im Mittelpunkt der Stadt
Festsäle, Konferenz- und Ausstellungszimmer
: Appartements mit Bad : Automobil :
Restaurant Weingrosshandlung
Telephone: Nr. 14, 3339, 3211
Königsberg i.Pr.,
31.10.11.
Geliebteste Tilly!
Herzlichen Dank für Deine liebe Karteeine Briefkarte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 29.10.1911].. Es freut mich, daß
Ihr alle Drei gesund und wohl seid. Ich fahre also zu berichten fort wo ich
aufhörtevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.10.1911.. Bertl kam um 6 Uhrum 18 Uhr in das Hotel Habsburger Hof in Berlin, am 29.10.1911. und holte seine SachenKleidungsstücke [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 31.10.1911]. um 8 Uhrum 20 Uhr, Beginn des Wedekind-Abends „‚Gedanken‘. Ethische und ästhetische Probleme“ [Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 552, 29.10.1911, Morgen-Ausgabe, 10. Beiblatt, S. (3)] am 29.10.1911 im Klindworth-Scharwenka-Saal in Berlin, an dem Wedekind außer seiner Rede „Heinrich von Kleist“ und den Prolog zu „König Nicolo“ vor allem den 3. Akt aus dem neuen Stück „Franziska“ las [vgl. KSA 7/II, S. 1159-1161]. fuhr ich zum
Vortrag. Der Saal war leidlich besetzt und das Publikum ging sehr liebenswürdig
mit. Der dritte Akt Franziska wirkte so wie ich ihn berechnet habe. NachherWedekind notierte am 29.10.1911 nach seinem Berliner Vortragsabend den Besuch im Weinlokal A. Frederich (Potsdamerstraße 12) mit seinem Schwager Dagobert Newes sowie mit dem Konzertagenten Erich Sachs und dessen Frau: „Frederich mit Bertl Sachs und Frau“ [Tb].
gingen Bertl, Erich Sachs, seine Frau und ich zu Frederich. Wilhelm Herzog wollte auch kommen aber erschien nichtvgl. Wedekind an Wilhelm Herzog, 1.11.1911.. Cassirer
war nicht im Vortrag gewesen obschon er die Absicht geäußert hatte hinzugehen,
und kam auch nicht zu Frederich. So saßen wir zu vieren bis eins 1 oder 2 zusammen. Darauf legte
ich mich schlafen. Am nächsten Morgen um 8 kam BertlDagobert Newes kam am 30.10.1911 in Berlin um 8 Uhr morgens in das Hotel Habsburger Hof, um seinen Schwager zu wecken, damit dieser den Zug um 9.30 Uhr nach Königsberg [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.10.1911] erreichte: „Bertl weckt mich, begleitet mich Bahnhof Friedrichstraße. Fahrt nach Königsberg“ [Tb]., und wir fuhren zusammen zum
Bahnhof Friedrichstraße. Er begleitete mich bis ins Coupéabgeschlossenes Eisenbahnabteil (im Unterschied zum Großraumabteil).. Die Fahrt durch die
unsagbar langweilige Gegend war mir eine große Erholung. Gestern Abend ging ich
schon um 11um 23 Uhr. Wedekind notierte dagegen am 30.10.1911 im Tagebuch 22 Uhr: „Gehe um 10 Uhr schlafen.“ zu Bett und wachte heute um 5 Uhr auf. Die GeneralprobeWedekind notierte am 31.10.1911: „Generalprobe mit Kostüm.“ [Tb] Premiere seines Gastspiels am Neuen Schauspielhaus in Königsberg (Direktion: Josef Geißel) in „König Nicolo“ (er spielte die Titelrolle) war am 1.11.1911. Das Gastspiel hatte die Münchner Konzertagentur Emil Gutmann organisiert, mit Wedekind vereinbart am 12.10.1911: „Mit Gutmann Königsberg abgeschlossen.“ [Tb] heute war
das schwächste, was ich bis jetzt von dem Stück gesehen habe. Die Herren haben
keine Ahnung von irgend welchen Wirkungen. Die AlmaFigur aus „König Nicolo oder So ist das Leben“, wohl gespielt von Mary Rau, eigentlich am Stadttheater in Brandenburg an der Havel engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 325], die am Neuen Schauspielhaus in Königsberg in Preußen ein Gastspiel gegeben haben dürfte., eine Fräulein Rau, ist
spießbürgerlich, vor allem im Kostüm. Heute Nachmittag ging ich drei Stunden
spazieren | und komme eben von der RedaktionWedekind notierte am 31.10.1911 seinen Besuch auf der Redaktion der „Königsberger Hartungschen Zeitung“ (am 2.11.1911 erschien dort eine wohlwollende Besprechung über ihn und sein Gastspiel in Königsberg von Ludwig Goldstein) mit dem Namen des Redakteurs Georg Müller: „Redaktion der Hartungschen Redakteur Müller“ [Tb]. der Hartungschen ZeitenSchreibversehen, statt: Zeitung.Schreibversehen, statt: Zeitung.. Heute
werde ich wol auch keine großen SprüngSchreibversehen, statt: Sprünge. mehr machen. Da morgen um 10 noch eine
Probe ohne KostümWedekind notierte am 1.11.1911 wiederum „Generalprobe“ sowie abends „Vorstellung“ [Tb] – die Premiere seines Gastspiels in „König Nicolo“ (siehe oben). ist.
Gleich bei unserer ersten BegegnungWedekind begegnete Josef Geißel, Direktor und künstlerischer Leiter am Neuen Schauspielhaus in Königsberg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 502], am 30.10.1911 bei seinem „Besuch im Theater“ [Tb] gleich nach seiner Ankunft in Königsberg. am gestern Abend
fragte mich der Direktor, übrigens ein äußerst liebenswürdiger Mensch, ob ich
eventuel noch am Sonntagam 5.11.1911, an dem Wedekind die dritte und letzte Vorstellung von „König Nicolo“ im Rahmen seines Gastspiels am Neuen Schauspielhaus in Königsberg notierte: „Nicolo 3. Vorstellung.“ [Tb] Abend spielen würde. Ich sagte, wir wollten erst den
Ausgang des morgigen Abends abwarten.
So, geliebte Tilly, jetzt kennst Du all meine Erlebnisse.
Küsse die Kinder herzlich von mir und sei selber innigst geküßt von Deinem
Frank.
Auf der Fahrt hierher begegnete ich im Wagen Frau Lou Andreas Salomé, die mit einer Damenicht identifiziert. nach Rußland
fuhr mit der sie im FrauenkoupéEisenbahncoupé für weibliche Fahrgäste, Damenabteil. saß. Wir sprachen zehn Minuten miteinander. Sie
erkundigte sichFrank und Tilly Wedekind hatten 1906/07 in Berlin dem Tagebuch zufolge mit Lou Andreas-Salomé gelegentlichen Kontakt, so am 7.12.1906 („Mit Lou Andreas Salomee nach Hause gefahren“), am 14.12.1906 („Adele Sandrock und Lou Andreas Salomé besuchen Tilly“) und am 27.2.1907 („Lou Andreas kommt zu uns“). Frank Wedekind notierte die Begegnung im Zug mit der Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé am 30.10.1911: „Fahrt nach Königsberg Lou Andreas Salomé“ [Tb]. Er hatte sie 1894 in Paris kennengelernt und sich dort mit ihr angefreundet [vgl. Regnier 2008, S. 148f.], wie sie sich erinnerte: „Fast am meisten bin ich in Paris mit Frank Wedekind zusammen gewesen.“ [Pfeiffer 1979, S. 100] sehr angelegentlich nach Dir und bat mich, Dich herzlich zu
grüßen.
Das Geld200 Mark und 100 Mark, jeweils per Postanweisung übermittelt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 2.11.1911 und 3.11.1911]. werde ich wohl nicht vor übermorgen, Mittwoch
Donnerstag, Mittag, abschicken können.