Vielleicht
verdiente ich es, dass Dir endlich die Geduld reißt u. Du mir den Rücken
kehrtest. Vielleicht verdiente ich es, dass ich an
meinen Kindern gestraft würde. Ich weiß es nicht. Ich werde in einem Strom von
Empfindungen herum geworfen u. finde keinen Ausweg. Manchmal möchte ich laut
schreien: Hilf mir! Wer öffnet mir die Augen
über mich?!
Bin ich nicht normal, dass ich empfinde, wie | ich empfinde?
Hattest Du, als Du gestern abends an mich dachtest, nicht Verständniss für all
das, was mich quält?
Du warst heut Früh so lieb zu mir!
Als Du mich jetzt nach dem TheaterFrank und Tilly Wedekind haben am 20.9.1911 im Münchner Residenztheater eine Komödie besucht (in den Hauptrollen Albert Steinrück und Johanna Terwin), die Vorstellung dauerte von 19.30 bis 22 Uhr: „Cäsar und Cleopatra. Eine historische Komödie in fünf Akten von Bernard Shaw.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 64, Nr. 440, 20.9.1911, Generalanzeiger, S. 2] Wedekind notierte am 20.9.1911: „Mit Tilly in Cäsar und Kleopatra.“ [Tb] Seine Frau ging nach dem Theater wohl nach Hause und schrieb den vorliegenden Zettel (den Wedekind wohl am 21.9.1911 vorfand), er selbst ging zum Arbeiten zunächst in das Hoftheater-Restaurant und traf sich anschließend in der Torggelstube „mit Steinrück und Mühsam“ [Tb]. Erich Mühsam notierte dazu: „Gestern war ich seit langem mal wieder mit Wedekind beisammen. Ich floh vom Stammtisch der Torggelstube [...] ins Nebenlokal, wo Steinrück und Wedekind saßen. Steinrück ging bald, und ich unterhielt mich mit Wedekind angelegentlich über öffentliche Angelegenheiten.“ [Tb Mühsam, 21.9.1911] fragtest, was hast Du?, da
hätte ich meiner ersten Empfindung nachgeben u. sagen sollen: Jetzt nichts
mehr, nachdem Du so lieb fragst. Ich kann nicht mit mir allein fertig werden,
u. suche immer wieder Hilfe bei Dir. Das ist Egoismus. Kannst
Du denn aber noch Geduld mit mir haben?