München, 18.X.1912.
Sehr verehrter Herr Engel!
In der Anlage erhalten Sie den versprochenen Beitragein Beitrag Wedekinds zum 50. Geburtstag Gerhart Hauptmanns für die Beilage „Der Zeitgeist“ des „Berliner Tageblatt“ [vgl. Wedekind an Fritz Engel, 8.10.1912].. Wenn
Sie ihn zum Abdruck bringenWedekinds Beitrag wurde nicht veröffentlicht; die Sonderbeilage „Dem 50jährigen Gerhart Hauptmann“ im „Berliner Tageblatt“ [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 576, 11.11.1912, Montags-Ausgabe, Beiblatt „Der Zeitgeist“, Nr. 46, S. (1-3)] erschien ohne seinen Beitrag., müßte ich natürlich die Bedingung stellen, daß es
unverändert und ungekürzt geschieht. Dagegen werde ich es Ihnen nicht einen
Augenblick verdenken, wenn Sie ihn ausschalten. Es ist genau so wie ich darin
schreibe: Ihre Aufforderung ist mir höchst sympathisch, während mir das
Verhalten Hauptmanns unsympathischGerhart Hauptmann hat sich zum 50. Geburtstag von Arthur Schnitzler (am 15.5.1912) und Max Dreyer (am 25.9.1912) nicht geäußert, worauf Wedekind im beigelegten Geburtstagsgruß für Gerhart Hauptmann dezidiert aufmerksam macht (siehe unten). ist. Es thut mir außerordentlich leid, daß
sich der Widerspruch gerade in diesem Falle geltend macht. Alle bisherigen
Aufforderungen habe ich mit der größten Herzlichkeit beantwortet und werde das
auch mit den noch folgenden thun. Deshalb erlaube ich mir die Bitte, mich bei
anderen, an unsere Kollegen gerichteten Gratulationen nicht durch Uebergehen
strafen zu wollen.
Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung Ihr ergebener
Frank Wedekind.
[Beilage:]
Wenn man ein halbes Dutzend Beglückwünschungen zum
fünfzigsten Geburtstag durchliest, dann bleibt freilich an dem Beglückwünschten
manchmal nicht mehr viel gutes übrig. Deshalb ist es vielleicht auch am
menschlichsten, wie es Gerhart Hauptmann sowohl Arthur Schnitzler wie Max
Dreyer gegenüber gehalten hat. (,,Der Merker“, 1. Mai-Heft 1912das Arthur Schnitzlers 50. Geburtstag gewidmete Themenheft [vgl. Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater, Jg. 3, Nr. 9, 1. Mai-Heft 1912, S. 331-350]. Ein Beitrag Gerhart Hauptmanns ist darin nicht enthalten. Wedekinds Beitrag [vgl. KSA 5/II, S. 455] erschien erst im nächsten Heft der Wiener Zeitschrift, von der Redaktion mit der Fußnote versehen: „Diese Zeilen Frank Wedekinds sind uns leider erst nach dem Abschluß unseres Schnitzlerheftes zugekommen. Ihre nachträgliche Veröffentlichung bedarf wohl keiner Rechtfertigung.“ [Frank Wedekind: Arthur Schnitzler zu seinem fünfzigsten Geburtstag. In: Der Merker, Jg. 3, Nr. 10, 2. Mai-Heft 1912, S. 379], „Wunschbüchleindas in Berlin (Buchdruckerei Otto & Emil Klatt) erschienene „Wunschbüchlein zur Eröffnung des Komödienhauses am 19. September 1912“ (1912), herausgegeben vom kaufmännischen Leiter des Komödienhauses [vgl. S. 103]; das war Arthur Günsburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 296]. Das „Wunschbüchlein“ war einerseits ein Bändchen zu einer Theatereröffnung (das Komödienhaus am Schiffbauerdamm 25 in Berlin wurde unter der Direktion von Rudolf Lothar am 19.9.1912 mit zwei Lustspielen eröffnet, mit Ludwig Fuldas „Feuerversicherung“ und Max Dreyers „Der lächelnde Knabe“ [vgl. S. 10]), andererseits eine Festschrift zur Würdigung des 50. Geburtstags der beiden Autoren, deren Lustspiele dort Premiere hatten. Darauf ist ausdrücklich verwiesen: „Dr. Max Dreyer feiert seinen fünfzigsten Geburtstag am 25. September 1912“ sowie „Dr. Ludwig Fulda feiert seinen fünfzigsten Geburtstag am 15. Juli 1912“ [S. 6]. Ein Beitrag Gerhart Hauptmanns ist in dem Band nicht enthalten. Wedekind ist mit einem Geburtstagsgruß für Max Dreyer vertreten. Dieser bisher unbekannte Text Wedekinds sei hier mitgeteilt: „Dem verehrten Meister Max Dreyer wünsche ich zum Fünfzigsten, er möge mit dem Feuer, der Schärfe und Lustigkeit, die sein Lebenswerk beseelen, eine vernichtende Satire gegen die Heuchelei und innere Verlogenheit der deutschen Theaterzensur schreiben, die als vergnügte Zuschauerin mitansieht, wie mit der Sittlichkeit Schindluder getrieben wird, und die Sittlichkeit für gefährdet erklärt, sobald ernste Probleme von ihr unbequemen Gesichtspunkten aus mit sittlichem Ernst erörtert werden. / Frank Wedekind.“ [S. 98]“, 19. September
1912.) Er befleißigt sich einer
KürzeGerhart Hauptmann hat anlässlich der 50. Geburtstage von Arthur Schnitzler und Max Dreyer schlicht und einfach geschwiegen., in der er von keinem Dichter der Welt überboten werden kann, und bezeugt
dadurch deutlich, daß er persönlich kein Freund von Glückwünschen ist. Durch
schlichtes Schweigen wird sicherlich die Gefahr vermieden, daß dem Glückwunsch
unversehens eine kleine Kritik mit unterfließt, die sich ja aber schließlich
mit Freundschaft sehr wohl verträgt. Wenn ich mir nun Hauptmanns Beispiel nicht
einfach zum Vorbild nehme, wenn ich vor der Bedeutung des Ereignisses nicht
gleichfalls sprachlos werde, so geschieht es nur, weil ich die majestätische
Theilnahmslosigkeit, die seit zwanzig Jahren um den Hazard-TischSpieltisch (von dem riskanten Glücksspiel Hasard abgeleitet, einem Würfelspiel). der Premiere
waltet, immer auf’s tiefste bedauerte, und weil ich in den Aufforderungen
unserer Kameraden, sich wenigstens einmal im Leben, sei es auch nur zum
fünfzigsten Geburtstag, ein herzliches Wort zu sagen, den schönsten Versuch
erblickte, die erhabene, weihevolle Stagnation, die unser geistiges Leben
beherrscht, etwas aufzurütteln.
Frank Wedekind.