Donnerstagder 10.11.1910..
Mein lieber Frank,
wir waren heute den ganzen Tag mit Frau Albu zusammen. Haben
sogar bei ihr gegessen. Ihren Mann sah ich nicht. Ich erwarte Dich also abendsam 11.11.1910, an dem Wedekind notierte: „Abfahrt von Berlin. [...] Ankunft in München, verfehle Tilly am Bahnhof.“ [Tb],
wenn Du nicht telegraphierst. Hoffentlich hast Du Dich nicht | zu sehr
angestrengt. Ich bin sehr gespannt, wie der VortragWedekinds „Vortrag von Aufklärungen Totentanz“ [Tb] am 10.11.1910 in Berlin fand um 21 Uhr als erste Veranstaltung der neu gegründeten Theatergesellschaft Pan, finanziert von Paul Cassirer, organisiert von Wilhelm Herzog [vgl. Müller-Feyen 1996, S. 26], im Salon Paul Cassirer (Victoriastraße 35) statt, wie angekündigt war: „Die Gesellschaft ‚Pan‘ veranstaltet am 10. November ihren ersten Vortragsabend im Salon Cassirer. Frank Wedekind liest aus eigenen Werken. Das Programm enthält ‚Aufklärungen‘, ‚Totentanz‘, ‚Prolog zur Büchse der Pandora‘. Die Vorlesung beginnt um 9 Uhr.“ [Wedekind-Vortrag. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 569, 8.11.1910, Abend-Ausgabe, S. (3)] Den genannten Prolog hat Wedekind nicht gelesen; während „Aufklärungen“ am 1.11.1910 im ersten Heft der parallel zur Pan-Gesellschaft gegründeten Zeitschrift „Pan“ (Herausgeber: Wilhelm Herzog und Paul Cassirer) erschienen ist, wurde der „Prolog in der Buchhandlung. Zur ‚Büchse der Pandora‘“ aber im zweiten Heft des „Pan“ am 15.11.1910 veröffentlicht. Die Presse urteilte: „Frank Wedekind eröffnete am Donnerstag im Salon Cassirer den ersten Abend der neu begründeten Gesellschaft ‚Pan‘ mit einer Vorlesung aus eigenen Werken. Zunächst erging er sich in einer Ansprache über die so aktuelle Frage der ‚Aufklärungen‘. [...] Auf dem Gebiet der Erotik und der Sexualität, so meint er, wuchert viel Aberglauben [...]. Durch ihre Erörterung würden auch Kulturerscheinungen, die außerhalb der Gesellschaftsordnung stehen wie die freue Liebe und die luxuriöse Prostitution, ihrer falschen und sagenhaften Romantik entkleidet werden: Wedekind als Moralist... [...] Danach las Wedekind seinen Einakter ‚Totentanz‘, eine wilde, schamlose Groteske, in der grausige Humore tollen. [...] Wedekind kann befremden, abstoßen und zum Widerstand herausfordern; aber er wird nicht langweilen. Er stellt zudem auch auf dem Podium seinen Mann; dieser seltsame Zeitgenosse zählt zu den guten Vorlesern, die schlechte Schauspieler sind.“ [Vossische Zeitung, Nr. 532, 11.11.1910, Abend-Ausgabe, S. (3)]
war. Herzlichste Grüße von Anna Pamela, innigst, Deine Tilly
Königreich Bayern
Postkarte
Herrn
Frank Wedekind
Berlin.
Habsburger Hof.