An die tit. Redaktion des „Berliner Tageblattes“
Berlin.
Sehr geehrter HerrChefredakteur des „Berliner Tageblatt“ war Theodor Wolff (auf der Titelseite der Zeitung angegeben), den Wedekind hier angesprochen haben dürfte. Der für das Feuilleton verantwortliche Redakteur war für den Zeitraum, in dem die Ausgaben des „Berliner Tageblatt“ vom 8. und 13.6.1911 erschienen sind, auf die Wedekind sich im vorliegenden Brief beruft, Victor Auburtin (er vertrat vom 6.6.1911 bis 6.7.1911 den eigentlichen Feuilletonredakteur Artur Fürst), für die Ausgabe vom 7.10.1910, auf die sich Wedekind ebenfalls bezieht, Hans Fischer (Kurt Aram).!
Ihre überaus wohlwollende und freundliche Notiz, die Sie dem Aufruf meiner Freunde Den in Berlin zuerst vom „Berliner Tageblatt“ veröffentlichten Aufruf [vgl. Eine Aktion für Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 287, 8.6.1911, Abend-Ausgabe, S. (3)] hat Wedekind selbst verfasst [vgl. KSA 5/II, S. 410f.], einer Notiz zufolge am 10.6.1911: „Schreibe Aufruf.“ [Tb] Er richtet sich gegen die Zensur. Der Georg Müller Verlag unternahm es, die Unterzeichnungen und den Versand an die Presse zu organisieren [vgl. KSA 5/III, S. 316f.]. Das „Berliner Tageblatt“ nannte als Unterzeichner Hermann Bahr, Friedrich Basil, Michael Georg Conrad, Lovis Corinth, Oskar Fried, Ludwig Ganghofer, Carl Hagemann, Max Halbe, Karl Henckell, Georg Hirth, Leopold Jeßner, Alfred Kerr, Max Liebermann, Heinrich Mann, Thomas Mann, Adolf Paul, Hans Pfitzner, Max Reinhardt, Arthur Schnitzler, Max Slevogt, Richard Strauss und Felix Weingartner. In den „Münchner Neuesten Nachrichten“ sind darüber hinaus noch Artur Kutscher, Gustav Meyrink, Wilhelm Rosenthal und Georg Stollberg genannt. Unterschrieben hat auch Herbert Eulenberg.folgen liessen, schließt mit den Worten:Das folgende Zitat stammt aus der Notiz (ohne Verfasserangabe), in der es heißt es: „Zu dem Aufruf für Frank Wedekind, den wir vor einigen Tagen veröffentlicht haben, werden wir gebeten, […] mitzuteilen, daß es sich um eine rein ideelle Sache handele und keineswegs um irgendeine materielle Unterstützung des Dichters. […] ‚Vielmehr‘ ‒ so heißt es in der uns zugehenden Mitteilung, ‚handelt es sich nur darum, einmal die Namen derjenigen zu erfahren, die sich dem Schaffen Wedekinds befreundet fühlen […].‘ Wir geben diese Information wieder und möchten hinzufügen, daß uns ein Kampf für die polizeiliche Freigabe der jetzt verbotenen Wedekindschen Werke, oder wenigstens der meisten von ihnen, ziemlich aussichtslos erscheint. Vielleicht aber können die Freunde des Dichters ihm selbst und seiner Sache dienen, indem sie geschlossenen literarischen Vereinen ihre Unterstützung bei der Wiedergabe seiner Werke leihen. Denn darin stimmen wir ganz mit dem neulich veröffentlichten Aufruf überein, daß ein Dichter wie Wedekind nicht dauernd totgeschwiegen werden darf.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 296, 13.6.1911, Abend-Ausgabe, S. (3)] „... daß ein
Dichter wie W. nicht dauernd totgeschwiegen werden darf.“ Erlauben Sie mir,
Ihnen für diese WortenSchreibversehen, statt: Worte. sowie dafür, daß das „Berliner Tageblatt“ meines Wissens
unter allen Berliner Blättern das einzige war, das den Aufruf unverkürzt und
ohne | einschränkende
Bemerkung abdruckte, meinen aufrichtigen herzlichen Dank auszusprechen.
Ihrer Ansicht von dem „Nicht totschweigen dürfen“ gaben Sie
ja auch schon in Ihrer eingehenden, ausführlichen Würdigung meines EinaktersDie recht kritische Besprechung der Premiere von „Die Zensur“ (zusammen mit „Der Liebestrank“) am 6.10.1910 im Kleinen Theater in Berlin (Regie: Victor Barnowsky), ein Gastspiel Wedekinds, stammt von Paul Schlenther [vgl. P.S.: Kleines Theater. Zum ersten Male: „Die Zensur.“ Theodizee in einem Akt. Hierauf: „Der Liebestrank.“ Schwank in drei Akten. Beides von Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 509, 7.10.1910, Morgen-Ausgabe, S. (2)]. Die recht kritische Besprechung der Premiere von „Die Zensur“ (zusammen mit „Der Liebestrank“) am 6.10.1910 im Kleinen Theater in Berlin (Regie: Victor Barnowsky), ein Gastspiel Wedekinds, stammt von Paul Schlenther [vgl. P.S.: Kleines Theater. Zum ersten Male: „Die Zensur.“ Theodizee in einem Akt. Hierauf: „Der Liebestrank.“ Schwank in drei Akten. Beides von Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 509, 7.10.1910, Morgen-Ausgabe, S. (2)].
„Die Zensur“, der im Herbst im Kleinen Theater zur Aufführung gelangte, den
lebhaftesten Ausdruck. Es war eine Auszeichnung, die Sie meinem Einakter „Die
Zensur“ vor sämmtlichen diesen Winter in Berlin | zur Aufführung gelangten Dramen zuteil werden
ließen, daß sie ihn in Ihrem geschätzten Blatt einer so eingehenden und
ausführlichen Besprechung würdigten. Also nochmals herzlichen Dank.
Darf ich Sie ersuchen, die Versicherung allervorzüglichster
Hochschätzung entgegenzunehmen von
Ihrem ergebenen
Frank Wedekind.
München 14.6.11.
Die Zeilen erwarten weder eine private noch eine öffentliche
Beantwortung.