HÔTEL BLAUER STERN
CARL SELTMANN.
TELEGRAMM-ADRESSE:
STERNHÔTEL PRAG.
PRAG, 5.III.10.
Innigst geliebte Tilly!
Ich danke Dir herzlich für Deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 3.3.1910 und 4.3.1910.. Ich
habe mich über jedes Wort darüber gefreut. Jetzt fällt mir aber eben ein, daß
Du vielleicht kein GeldWedekind schickte 100 Mark [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 7.3.1910]. mehr hast und morgen ist Sonntag. Heute ist es schon zu
spät. Montag vormittag schicke ich Dir also auf alle Fälle Geld.
Auf der Fahrt Wien – Ollmütz versäumte ich umzusteigenWedekind notierte am 3.3.1910 zu seiner Fahrt von Wien nach Olmütz: „Abfahrt von Wien. Versäume umzusteigen, fahre bis Abends 8 Uhr.“ [Tb], da
kein Mensch was davon gesagt hatte. Ich kam daher erst 8 Uhr Abends kurz vor
Beginn des VortragsWedekinds Lesung am 3.3.1910 im Deutschen Kasino in Olmütz (er las aus „Die Zensur“ und „Totentanz“ sowie Gedichte) war auf 20 Uhr angesetzt: „Morgen abends, pünktlich 8 Uhr, findet im deutschen Kasino die einzige Vorlesung Frank Wedekinds aus eigenen Werken statt. Vorgemerkte Plätze müssen bis mittags abgeholt werden, da sie sonst zur Befriedigung noch unerledigter Bestellungen verwendet werden. Vorverkauf in Friedrich Grosse’s Buchhandlung.“ [Vorlesung Frank Wedekind. In: Mährisches Tagblatt, Jg. 31, Nr. 49, 2.3.1910, S. 4] in Olmütz an. Das Sprechen wurde mir bedeutend leichter als
in Wien. Nachher war ich mit einem BuchhändlerWilhelm Grosse, in dessen Buchhandlung der Vorverkauf für Wedekinds Lesung stattfand (siehe oben), wahrscheinlich der Veranstalter; Wedekind hat am 3.3.1910 notiert: „Vortrag in Olmütz. Nachher mit Große [...] zusammen.“ [Tb], einem Kritiker nicht identifiziert.und einem |
Oberleutnantnicht identifiziert. Wedekind hat am 3.3.1910 notiert: „Vortrag in Olmütz. Nachher mit [...] einem Oberleutnant Bekannter von Roda zusammen.“ [Tb], Freund von Roda Roda,
zusammen. Gewohnt habe ich besser als in Wien wo ich ein sehr schlechtes Zimmer
hatte. Gestern holte mich Bertl vom Bahnhof ab. Am Nachmittag ging ich bei
herrlichstem Wetter auf dem Rhadschin spazierenauf dem Hradschin, dem Prager Burghügel. Wedekind notierte am 4.3.1910: „Spaziergang auf dem Rhadschin und um den Hofgarten herum.“ [Tb]. Nach dem Vortrag trafen wir
uns im blauen SternWedekind war nach seiner Lesung im Hotel Central in Prag (er las aus „Die Zensur“ und „Totentanz“ sowie Gedichte) in geselliger Runde mit dem Musikkritiker Felix Adler, Otto Engländer (Schwager Tilly Wedekinds), Dagobert Newes (Bruder Tilly Wedekinds), dem Musikalienhändler Emil Wetzler und dessen Frau Ida Wetzler (geb. Horschitz) im Hotel Blauer Stern (Am Graben 34), wie er am 4.3.1910 notierte: „Vortrag in Prag. Nachher mit Felix Adler Otto Engländer Bertl und Wetzler und Frau zusammen.“ [Tb], Bertl, sein Vetter Otto, Felix Adler und der
MusikalienhändlerEmil Wetzler (siehe oben). der den Vortrag veranstaltet hatte. Wir kneipten bis ein Uhr,
dann schlief ich mich wiedereinmal aus. Heute schrieb ich Briefedarunter ein Brief an Wilhelm Herzog (siehe unten). vor Tisch und
ging nachher spazieren. Unsere Kartevgl. Frank Wedekind und Dagobert Newes an Tilly Wedekind, 4.3.1910. von gestern Nachmittag wirst Du bekommen
haben.
Barnowsky findet 500 M.Wedekinds Honorarvorschlag für einen Gastspielabend [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 2.3.1910]. pro Abend zu viel und bietet 200 M.
Darauf telegraphierte ichTelegramm nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hebbel-Theater Berlin, 4.3.1910. ans Hebbeltheater, es soll mir Gegenvorschläge nach
Dresden zukommen lassen. In Wien | sprachen Weigert und Geyer am letzten Abendam 2.3.1910, dem letzten Abend in Wien, den Wedekind in Gesellschaft von August Weigert und Emil Geyer im Lokal Zur großen Tabakspfeife verbrachte [vgl. Tb]; dabei wurde auch über mögliche Gastspiele Wedekinds in „Hidalla“ und „So ist das Leben“ an der Neuen Wiener Bühne gesprochen (nicht realisiert).
noch viel davon, wir sollten im Frühjahr in So ist das Leben und Hidalla
gastieren. Ob es mehr als Gerede war kann ich vorderhand schwer beurtheilen.
Bruno Cassirer willigt ein, zu verkaufen und stellt
allerhand Bedingungenüber den Verkauf von Wedekinds Werken, der zentrale Streitpunkt in Wedekinds Auseinandersetzung mit seinem Verleger Bruno Cassirer. Wedekind bezieht sich auf einen Brief Bruno Cassirers, den er mit einem Begleitschreiben von Wilhelm Herzog erhalten hat [vgl. Wedekind an Wilhelm Herzog, 5.3.1910].. Über den Preis ist aber noch gar nicht verhandelt worden.
Sobald ich in München bin werde ich der Sache wieder einen kräftigen Ruck
geben. Während der Reise kann ich das nicht. Ich schrieb aber an Herzogvgl. Wedekind an Wilhelm Herzog, 5.3.1910., sie
er möchte die Verhandlungen weiter fortsetzen.
Morgen, Sonntag bleibe ich noch hier. Montagder 7.3.1910, an dem Wedekind notierte: „Abfahrt von Prag, Versäume umzusteigen komme eine Stunde zu spät nach Teplitz. Vortrag.“ [Tb] Seine vom Teplitz-Schönauer Leseklub veranstaltete Lesung im Lindensaal in Teplitz [vgl. Vortrag Frank Wedekind. In: Teplitz-Schönauer Anzeiger, Jg. 50, Nr. 30, 9.3.1910, S. 7] hatte dasselbe Programm wie die Lesungen in Olmütz und Prag. Nachmittag fahre
ich nach Teplitz und Dienstagder 8.3.1910, an dem Wedekind notierte: „Fahrt nach Dresden.“ Er las am 9.3.1910 im Künstlerhaus in Dresden [vgl. Dresdner Nachrichten, Jg. 54, Nr. 50, 20.2.1910, S. (4)] seine Tragödie „Die Büchse der Pandora“ [vgl. KSA 3/II, S. 1268]. nach Dresden. | Schick mir also bitte nichts mehr
hierher S/s/ondern na/se/nde die Post nach Dresden „Webers Hotel“.
Am Donnerstagder 10.3.1910, an dem Wedekind notierte: „Um 11 Uhr Abfahrt nach München“ [Tb]. denke ich um 11 Uhr von Dresden abzureisen und wäre also am Abend
in München.
Also auf baldiges Wiedersehn, geliebteste Tilly! Innigste Küsse
Dir und Annapamela. Bleibt gesund! Ich freue mich sehr, daß Du Stein der Weisen
gelernt hast.
In Liebe
Dein Frank.