Hochverehrter Herr Liliencron!
Es drängt mich seit Wochen, Ihnen für die
herzlichen GeleitworteAnspielung auf einen Brief, den Detlev von Liliencron an den Regisseur Leopold Jessner kurz vor dessen „Erdgeist“-Tournee (siehe unten) mit einem frei zusammengestellten Ensemble [vgl. Seehaus 1973, S. 133] geschrieben hat; er ist verschollen, überliefert ist aber im Zuge dieser Tournee ein Zitat in der zeitgenössischen Presse: „Großes Interesse gibt sich für die ‚Erdgeist‘-Aufführung [...] kund. Daß die Aufführung von wirklich berufenen Interpreten Wedekinds erfolgen wird, beweise folgender kurze Auszug aus einem Briefe, den der Dichter Liliencron an Regisseur Jeßner vom Thalia-Theater in Hamburg und Leiter des Gastspielensembles gerichtet hat: ‚Im Anschluß an unsere Unterredung über Wedekind fällt mir noch ein, daß es wohl weniger Bitterkeit ist, mit der sich Wedekind ausdrückt, als souveräne Ironie und Satire. Sie wollen jetzt eine Wedekind-Reise machen, die wird ihnen glücken mit solchen Künstlern, wie es Stockhausen und Frau Schroth, sind. Es muß ein Genuß sein, Wedekind aufgeführt zu sehen unter Ihrer Leitung, die wir ja schon oft in glänzender Weise im Thaliatheater bewundern durften. Wedekind ist die prägnanteste Erscheinung unserer jungen Theaterbewegung. Er ist ein Künstler durch und durch. Und Sie sind der beste Kenner seiner Kunst.‘“ [Gießener Anzeiger, Jg. 158, Nr. 40, 17.2.1908, 1. Blatt, S. (2)] Später hat Artur Kutscher (zuerst am 9.3.1928 in der „Rheinisch-Westfälischen Zeitung“) nochmals auf diesen Brief aufmerksam gemacht: „Liliencron schrieb an Jeßner schon im Januar 1908: ‚Wedekind ist die prägnanteste Erscheinung unserer jungen Theaterwelt. Er ist Künstler durch und durch.‘“ [Frank Wedekind. Zum zehnjährigen Todestag. In: Die Literatur, Jg. 30 (1927/28), S. 463], die Sie unserem Freunde Leopold Jeßner mit auf den Wegmit auf den Weg der Tournee des „Erdgeist“-Ensembles, die unter anderem nach Görlitz (8.2.1908), Stettin (10.2.1908), Magdeburg (11.2.1908), Kassel (17.2.1908), Gießen (22.2.1908), Jena (20.2.1908), Köln (24.2.1908), Lübeck (26.2.1908) und Kiel (28.8.1908) führte und die nun abgeschlossen war, wie die Presse meldete: „Das unter der Leitung des Oberregisseurs Leopold Jessner vom Hamburger Thalia-Theater stehende ‚Erdgeist-Ensemble‘ ist nach einer an künstlerischen Ehren reichen vierwöchentlichen Gastspielreise wieder nach Berlin zurückgekehrt.“ [Saale-Zeitung, Jg. 42, Nr. 115, 8.3.1908, Beiblatt, S. (1)]
gaben, meinen aufrichtigen Dank zu | sagen. Vor allem aber muß ich Ihnen
aussprechen, wie stolz ich darauf bin, daß sich mein Stück mit einer solchen
Empfehlung von Ihnen zeigen durfte. Sie werden nicht müde, mit allen Händen
Geschenke auszutheilen.
Wie ein paar WorteAnspielung auf das enthusiastische Feuilleton, das Detlev von Liliencron zu Rudolf Presbers satirischem Skizzenbuch „Von Leutchen, die ich lieb gewann“ (1905) veröffentlicht hatte; darin heißt es: „Welch ein lustiges Buch durch und durch! [...] Ja, welch ein wundervolles, köstliches Buch ist es! [...] Wie scharf hat der Dichter uns Menschen gesehen, [...] wie scharf unsere großen und kleinen Eigenheiten gekannt! […] Rudolf Presber hat in unsere Seelen gesehen.“ [Detlev v. Liliencron: Von Rudolf Presbers Buch „Von Leutchen, die ich lieb gewann“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 577, 11.11.1905, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (1)]. Das Buch wurde für Rudolf Presber und seinen Verlag, die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart, zum Longseller; noch 1905 erschien die 4. Auflage, die 41. bis 45. Auflage erschien 1918. | von Ihnen Rudolf Presber
zu einem glücklichen Omen wurden, so scheinen Sie es auch mir geworden zu sein.
Sie beschämen uns, wenn Sie zu alle dem Reichtum, dem wir Ihrem Lebenswerk
verdanken auch noch solche Gaben uns theilen.
Ich habe es sehr bedauert | daß wir uns so
lange nicht mehr in behaglicher Muße gesehen haben. Das letzte Mal war es vor
zehn Jahren in LeibzigWedekind war am 4.2.1898 bei der von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig veranstalteten Lesung von Detlev von Liliencron [vgl. Leipziger Tageblatt, Jg. 92, Nr. 61, 4.2.1898, Morgen-Ausgabe, 4. Beilage, S. 887] anwesend, wie Detlev von Liliencrons Brief aus Leipzig an Gustav Falke vom 5.2.1898 [vgl. Spiero 1927, S. 316] und die Erinnerung von Kurt Martens an die Lesung [vgl. Martens 1921, S. 212f.] belegen.. Hier in BerlinAnspielung auf zwei gemeinsame Lesungen in Berlin, jeweils im Beethovensaal (Köthener Straße 28), die Wedekind beide notiert hatte – am 5.3.1905: „Vortrag im Bethovensaal mit Gertrud Eysold Lilienkron und Marzel Salzer“ [Tb], das war eine Matinee um 12 Uhr zusammen mit Gertrud Eysoldt, Detlev von Liliencron und Marcell Salzer [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 116, 4.3.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)], und am 22.10.1905: „Abends mit Detlev von Lilienkron Vortrag im Bethovensaal“ [Tb], das war ein gemeinsamer Leseabend um 20 Uhr [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 539, 22.10.1905, Sonntags-Ausgabe, 5. Beiblatt, S. (3)]. hatten Sie immer so wenig Zeit.
Mit den herzlichsten Grüßen auch von meiner
lieben Frau bin ich Ihr
dankbar ergebener
Frank Wedekind.
9.3.8Wedekind schrieb dem Leiter der „Erdgeist“-Tournee (siehe oben) am selben Tag [vgl. Wedekind an Leopold Jessner, 9.3.1908]..