Lieber Walther,
ich bleibe jedenfalls noch bis Mittwoch oder
Donnerstagden 14. oder 15.2.1900. An diesen beiden Tagen spielte Carl Heines Ensemble im Kristallpalast in Leipzig den „Kammersänger“ [vgl. Leipziger Tageblatt, Jg. 94, Nr. 83, 15.2.1900, Morgen-Ausgabe, S. 1283]; Wedekind wollte eine der beiden Vorstellungen seines Einakters offenbar besuchen. hier in Leipzig, für den Fall daß du mir etwas mitzutheilen hast.
Nachher fahre ich auf vierzehn Tage nach MünchenTatsächlich übersiedelte Wedekind dauerhaft nach München und gab seine Pläne, nach Hamburg oder Berlin zu gehen, auf.. Ich kam hier mit einer
fürchterlichen Erkältung an, ging aber vom ersten Tag an von Hand zu Hand.
Vorgesternam 9.2.1900. | kneipten wir vier Stunden in Klingers AtelierMax Klinger, Maler, Radierer, Bildhauer und Mitglied der Akademie der bildenden Künste in Dresden, wohnte in Leipzig in der Carl-Heine-Straße 2, Parterre; sein nach seinen Plänen erbautes Atelier befand sich in der Carl-Heine-Straße 6 [vgl. Leipziger Adreß-Buch für 1900, Teil I, S. 474]., Hans Merian,
Klinger und ich. Gleich am ersten AbendWedekind kam am 8.2.1900 in Leipzig an. traf ich Dr. Heine und die Taliansky im
Kristallpalast, die sich hier ein geschäftliches Rendezvous gegeben hatten. Die
Taliansky die ein glänzendSchreibversehen, statt: glänzendes. EngagementLeonie Taliansky, früher Mitglied von Carl Heines Ensemble, die in der Uraufführung des „Erdgeist“ durch Carl Heines Ibsen-Theater im Kristallpalast in Leipzig die Rolle der Lulu und dann in der Uraufführung des Einakters „Der Kammersänger“ am 10.12.1899 am Neuen Theater in Berlin die Rolle der Miss Isabel Coeurne gespielt hat, wechselte vom Neuen Theater in Berlin (Schiffbauerdamm 5) zum Berliner Theater (Charlottenstraße 90-92) unter der Direktion von Paul Lindau [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 261; Neuer Theater-Almanach 1901, S. 242]. bei Paul Lindau in Berlin anzutreten hat,
macht trotzdem auch noch zwischendurch unsere TournéeWedekind ging davon aus, er werde an einer Tournee mit Carl Heines Ensemble teilnehmen, was sich nicht realisierte. mit. | Ich arbeiteWedekind arbeitete nach wie vor am „Marquis von Keith“, dessen „endgültige Fertigstellung sich bis in den Mai hinein“ [KSA 4, S. 413] zog. wasSchreibversehen, statt: was das.
Zeug hält komme aber auch kaum aus dem Katzenjammerkörperlich matte Befindlichkeit nach Alkoholkonsum. heraus, so daß ich mich
nach München sehne.
Ich bin eben im Begriff mir Heines Ensemble
anzusehen das heute eingetroffen ist. Er behauptet er habe wieder zwei
Anfängerinnennicht identifiziert. von blendender Schönheit, deren eine er meiner Aufmerksamkeit
besonders empfiehlt, ein Muster von Freund und Theaterdirector. |
Grüße Mama und Mieze aufs beste. Ich danke noch
vielmals für die freundliche AufnahmenSchreibversehen, statt: Aufnahme. Wedekind verbrachte die ersten Tage nach seiner Haftentlassung aus der Festung Königstein am 3.2.1900 bei seiner Schwester Erika und seinem Schwager Walter Oschwald in Dresden.. Auf baldiges Wiedersehn
Dein
Frank.
H
Müller’s Hotel
Matthäi Kirchhof
Leipzig.
11. Febr. 1900.