München,
6. Februar 1915.
Lieber Max!
Darf ich Dich und Deine
verehrte Frau Luise bitten, für die freundlichen Äußerungen Eurer TheilnahmeHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Max Halbe, Luise Halbe an Wedekind, 8.1.1915.
während meiner KrankheitWedekind war am 29.12.1914 wegen akuter Blinddarmbeschwerden operiert worden: „Werde mit dem Sanitätswagen in die Klinik gebracht und operiert.“ [Tb] Die Operation erfolgte in der Chirurgischen Privatheilanstalt (Werneckstraße 16) von Dr. med. Friedrich Scanzoni von Lichtenfels, Spezialarzt für Chirurgie [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 590]. Wedekind war am 9.1.1915 aus der Klinik entlassen worden (siehe unten). aufrichtigen herzlichsten Dank entgegenzunehmen.
Besonders danke ich Dir noch für Deinen freundlichen Besuch in der KlinikWedekind notierte am 9.1.1915: „Halbe meldet sich an und besucht mich. Mit dem Sanitätswagen nach Hause gebracht.“ [Tb] Max Halbe notierte am 9.1.1915: „Geg. Mittag heute Wedekind besucht, der in der Skanzonischen Klinik liegt Er wurde vor ca. 1½ Wochen operiert, Blinddarm, wie es heißt, ist auf dem Wege der Besserung, sieht aber noch recht schmal und mit seinem Backen- und Vollbart ziemlich fremd aus. Ich berichte ihm von der Außenwelt.“ [Tb Halbe].
Willst Du mir erlauben, Dich zugleich zu dem Verlauf | des Prozesses mit FredDer Prozess, den der Schriftsteller W. Fred (Alfred Wechsler) gegen Max Halbe wegen Beleidigung – „mit Fred [...] Halbeskandal erörtert“ [Tb], notierte Wedekind am 22.11.1914 – angestrengt hatte, fand am 26.1.1915 vor dem Amtsgericht Au in München unter Vorsitz des Richters Wilhelm Mayer statt, wie Max Halbe, der zur Zahlung einer Geldstrafe von 50 Mark verurteilt wurde, notierte: „Fred-Prozeß! Früh heraus [...] zum Amtsgericht in der Au. Zuhörerkreis fast lauter Bekannte. Mayer ist Vorsitzender [...]. Mayer steht sichtlich auf Seiten Freds, wie mir schon neulich bei dem Vor-Termin klar wurde. Fred u. ich geraten [...] scharf aneinander. [...] Mittagspause mit größerem Kreis [...]. Dann Wiederaufnahme mit den Plaidoyers. Bernstein spricht glänzend gegen Fred. [...] Ich [...] zu 50 M. [...] Strafe verurteilt.“ [Tb Halbe] Erich Mühsam, unter den Prozessbesuchern, skizzierte das Geschehen: „Halbe wurde, weil er vor 2 Menschen Freds Weigerung, über seiner Wohnung ein Lazarett einrichten zu lassen, als unsozial bezeichnet hatte, oder vielmehr, weil einer von den beiden Zuhörern, der dreckige Reporter Friedenthal, die Aeußerung Fred hinterbracht hatte, zu 50 Mk Geldstrafe verurteilt.“ [Tb Mühsam, 28.1.1915] Das Urteil wurde am 20.3.1915 in zweiter Instanz bestätigt. Wedekind notierte dazu am 20.3.1915: „Café Odeon mit Fred und Lux Halbeprozeß wird besprochen.“ [Tb] Dem ersten Prozess vom 26.1.1915 waren Rücktritte im Vorstand der Münchner Ortsgruppe des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller vorangegangen, auf der Sitzung 8.12.1914, wie der Vorsitzende Max Halbe notierte: „Die gestrige Sitzung des Schutzverbandes: es hat großes Tohuwabohu gegeben, Fred u. Genossen sind vom Vorstand zurückgetreten, weitere Entscheidung ist vertagt.“ [Tb Halbe, 9.12.1914] Neben W. Fred traten Eugen Albu, Joseph August Lux und Eva von Baudissin zurück, wie Erich Mühsam festhielt: „Gestern abend war Schutzverbandsversammlung und mal wieder eine Vorstandskrise zu erledigen, da Fred, Lux, Albu und die Gräfin Baudissin ihre Ämter niedergelegt haben. Es handelt sich, soviel ich weiß, um einen albern privaten Stank, der schon zu drei Privatklagen geführt hat: Fred ctr. Halbe, Friedenthal ctr. Fred und Albu ctr. Lux.“ [Tb Mühsam, 9.12.1914] zu
beglückwünschen. Nach allem was ich von Dr. Martens und Dr. FriedenthalKurt Martens und Joachim Friedenthal hatten Wedekind dem Tagebuch zufolge am 30.1.1915 („Friedenthal kommt zum Thee“) und am 3.2.1915 („Martens zum Thee“) zu Hause besucht. Joachim Friedenthal war persönlich in die Auseinandersetzung zwischen Max Halbe und W. Fred verwickelt (siehe oben). hörte,
bedeutet die Angelegenheit einen unbedingten großen moralischen Sieg für Dich. Darüber habe ich mich von Herzen gefreut.
Seit einigen TagenWedekind hatte am 28.1.1915 erstmals wieder das Haus verlassen: „Erster Spaziergang mit Tilly zur Villa Stuck.“ [Tb] gehe ich
wieder an die Luft und hoffe nun auch bald wieder einmal einen vergnügten Abend
mit DirWedekind verbrachte erstmals wieder bei einem Besuch des Künstlerstammtischs Das junge Krokodil im Münchner Ratskeller am 1.3.1915 einen Abend mit Max Halbe – zusammen mit Artur Kutscher, Erich Mühsam und Karl Henckell: „Krokodil Kutscher Halbe Mühsam Henckel“ [Tb]. verbringen zu können.
Mit herzlichen Grüßen
Dein
alter
Frank Wedekind.