Liebe Tilli!
Was ist mit Dir, daß Du nichts hören läßt? Hast du Dich bei
dem plötzlichen Witterungswechsel erkältet oder geht es Anna Pamela nicht gut?
Schreib mir bitte einen Gruß zur Beruhigung. Aber schreibe mir auch offen, wenn
Du irgend welche Unannehmlichkeiten hast.
Es sind morgen schon acht | Tage daß ihr fort seid. Fünf
Abende habe ich bis jetzt gearbeitet. Heute ist der sechste und ich kann mich nicht über den ErtragWedekind hat am 12.9.1907 ‒ noch unter dem Arbeitstitel „Das Kostüm“ ‒ mit der Ausarbeitung seines Einakters „Die Zensur“ begonnen [vgl. KSA 6, S. 827]. beklagen. Wenn ich die Arbeit
zu Ende bringe wird es dir jedenfalls die liebste Rolledie Rolle der Kadidja im Einakter „Die Zensur“ (1908). sein. Du schreibst
liebe Tilly, daß Du mir nur dadurch nützen kannst, wenn Du mir fern bist. Das
ist Unsinn. Du hast überhaupt mir s in erster Linie dir selber zu
nützen. Mehr kannst Du gar nicht für mich | thun, als wenn Du Dir selber nützt.
Aber wenn Du mich nicht einmal 14 Tage die ich durchaus nötig habe, allein lassen kannst, dadurch kannst Du mir allerdings sehr
empfindlich schaden.
Die Neuigkeiten habe ich Dir alle auf der Postkartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907.
geschrieben. Vor drei Tagen wurden Leitern an unserem Haus aufgerichtet. Das Dach wird abgedeckt; unten im Hof hausen die Maurer.
Neulich traf ich BasilWedekind hat Fritz Basil, den Münchner Hofschauspieler, bei dem er seit 1904 Schauspielunterricht nahm, dem Tagebuch zufolge am 13.9.1907 getroffen („Mit Basil in der Amerikan Bar“), dann wieder (zusammen mit dem Redakteur Fritz Schwartz) am 17.9.1907 („In der Odeonsbar treffe ich Basil und Nero“)., der sich auf|richtig drauf zu
freuen scheint, übers Jahr wieder schauspielerisch mit mir zu arbeiten. Er hat
mir auch schon einige Winke gegeben wie man sich vor zu grt großer
Ermüdung schützt. Wenn ich nicht zu schreibselig bin, geliebte Tilly, darfst Du
es mir wirklich nicht verdenken, weil ich die Zeit auszunutzen suche. Aber Du
hast doch wohl Muße genug, vorausgesetzt, daß nicht irgend etwas passiert ist.
Grüße Mama und Mieze
herzlichst und sag ihnen meinen Dank für ihre Gastlichkeit. Du und Anna Pamela
seid aufs herzlichste gegrüßt und geküßt von Eurem
Frank.
17.9.7.