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Donnerstagder 25.7.1907..
Mein lieber Frank,
Deinen lieben Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.7.1907. u. die beiden Kartenvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 23.7.1907 – und eine nicht überlieferte Postkarte oder Bildpostkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.7.1907. habe ich erhalten.
Ich freue mich si/eh/t/r/, dass meine Verbannung nun bald ihrem
Ende entgegen geht. Ich sehe auch tatsächlich schon viel besser aus, ich glaube
Du wirst zufrieden sein.
Natürlich komme ich alleinohne Begleitung ihres Mannes, der sie nicht in Graz abzuholen braucht., ich sagte ja gleich, eine Reise
hierher würde sich nur lohnen, wenn Du einige | Zeit hier bleiben willst. Ich
freu’ mich sehr auf München, u. natürlich auf Dich besonders! Seitdem ich weiß,
dass ich nicht länger wie eine Woche noch hier
bin, finde ich’s noch viel schöner u. bin sehr vergnügt.
Damit Du nicht die Mühe des Wohnungs-suchen hast, könnten wir
ja einige Tage im Hotel wohnen, u. ich besorge dann das alles. Ist dir das
recht? |
Wenn Du mir einen Tag vorher schreiben willst, wann wir
reisen sollen, wäre ich Dir sehr dankbar. In einem Tag kann ich
uns schon reisefertig machen.
Die beiden HefteTilly Wedekind hat die in einer Buchhandlung in Graz bestellten Hefte der Literaturzeitschrift „Morgen“ [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.7.1907] mit dem dritten Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 143-150] und vierten Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 6, 19.7.1907, S. 175-181] von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern von Frank Wedekind“ inzwischen erhalten und wie die beiden ersten Bilder des Stücks [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907] zusammen mit ihrem Bruder Dagobert Newes gelesen. „Morgen“ hab’ ich hier bekommen; ich laßSchreibversehen, statt: las.
mit Bertl „Musik“. Wie stellt DreßlerDer mit Wedekind befreundete Musiker Anton Dreßler war die „Vorlage“ für die Figur des Gesangspädagogen Josef Reißner in Wedekinds „Musik“, die sich durch „heuchlerische Doppelbödigkeit und Zwiespältigkeit“ [KSA 6, S. 746] auszeichnet. Er hatte inzwischen seine Stellung als Gesangslehrer an der Akademie der Tonkunst in München verloren und war in einer schwierigen Situation. Wedekind hat ihn dem Tagebuch zufolge am 20.7.1907 getroffen („Mit Dreßler und Langheinrichs in Hofbräuhaus“), sich am 24.7.1907 mit dessen Frau beraten („Zusammenkunft mit Lotte Dreßler bei Langheinrichs“) und am 26.7.1907 nochmals mit ihr und mit Anna Langheinrich („Unterredung im Hotel mit Lotte Dreßler und Anna Langheinrich“) und traf sich mit ihm am 27.7.1907 („Besuch bei Dreßler“) vermutlich zu einer Aussprache. sich dazu? Die kurze Geschichte von Holitzereine Ich-Erzählung, die in der Zeitschrift „Morgen“ erschienen ist [vgl. Arthur Holitscher: Straßenecken-Legende. In: Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 153-157]. Sie „skizziert ein Erlebnis einer Großstadt-Prostituierten“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 62]. finde ich ganz nett. Wenn man vieles über Berlin
ließt, dann ist man immer stolz, mit dabeigewesen zu sein. |
Was macht unser EinacterFrank Wedekinds Einakter „Die Zensur“, den er am 29.5.1907 unter dem Titel „Das Kostüm“ konzipiert hat, mit der Ausarbeitung aber erst im Herbst begann [vgl. KSA 6, S. 827]. Die ersten Konzepte enthalten „viele autobiographische Details“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 63], die Tilly Wedekind betreffen; der Buchausgabe „Die Zensur. Theodizee in einem Akt“ (1908) ist dann ein offener Brief an sie vorangestellt: „Meine liebe Tilly! Besorgte Gemüter lasen aus diesen Szenen, du hättest je einmal zwischen meiner Arbeit und mir gestanden, und beschwerten dir durch ihre Besorgnisse das Herz. Wem die Szenen gefallen, dem liegt der Argwohn fern, aber den besorgten Lesern schulde ich eine Beruhigung. In den langen Jahren, die ich allein verlebte, war es mir jedes dritte Jahr einmal vergönnt, eine Arbeit erscheinen zu lassen; die zwei Jahre unseres Zusammenseins trugen mir drei fertige Stücke ‚Musik‘, ‚Zensur‘ und ‚Oaha‘ ein, an die ich vorher nie mit einem Gedanken gedacht hatte. Ich bin natürlich gewärtig, diese Aufzählung als Marktgeschrei gedeutet zu sehen. Aber dich bitte ich jedenfalls, zu verzeihen, daß ich an deiner Seite so viel Zeit zu selbständiger Betätigung fand. Frank.“ [KSA 6, S. 206]?
Grüße Langheinrich’s von mir. Wie sieht Frank Antonder am 11.3.1907 geborene Sohn von Anna und Max Langheinrich. aus?
Anna Pamela wird alle Deine Wünsche befolgen, u. freut sich
auch sehr auf München. Jetzt schläft sie, der Liebling. Die Karte ist reizenddie nicht überlieferte Postkarte (siehe oben), wahrscheinlich eine Bildpostkarte, die einen direkten Bezug zu Pamela Wedekind gehabt haben dürfte.!
Leb’ wohl, liebster Frank, Dein letzter Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.7.1907., war mir bis
jetzt der Liebste!
Innigst
Deine Tilly
[Seite 4 am rechten
Rand um 90 Grad gedreht:]
Eben aufgewacht: Ich kann’s fast so
gut wie Du, Papa,
Deine Anna-Pamela.