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Rosenberg,
Donnerstagder 18.7.1907..
Mein lieber, guter Frank,
ich danke Dir für Deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907. u. die 120 Kr.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.7.1907. die ich heute
erhielt. Ich habe noch 60 Kr. u. käme ich wohl damit aus. Allerdings richtet sich das alles nach
der Zeit, die ich hier zubringen werde. – Heute ist der erste schöne Tag, aber
der ist auch prachtvoll! Zu meiner vollkommenen Zufriedenheit fehlst nur Du. Trotzdem würde ich Dir abraten, die weite
Reise nur zu machen, um mich abzuholen. Aber erstens hat dies Zeit, u. zweitens
hast Du’s wohl nur pro Formapro forma (lat.) = der Form halber. gesagt. |
Gesternder 17.7.1907, eine Woche zurückgerechnet der 10.7.1907, an dem Tilly Wedekind in Graz eintraf. war es eine Woche, dass ich herkam, u. vorgesternder 16.7.1907, eine Woche zurückgerechnet der 9.7.1907, an dem Wedekind in Leipzig notierte: „Ich begleite Tilly zur Bahn“ [Tb].,
dass ich mich von Dir getrennt habe. Glaube ja nicht, dass ich Dich drängen
will, ich bin mit allem zufrieden. Gewiss wird es uns auch Beiden gut tun.
Darum will ich Dich nicht mehr quälen; es fehlte mir bis jetzt nur die richtige
Sanftmut.
Anna Pamela schläft neben mir in ihrem Wagen. Sie wird jeden
Tag reizender u. wird von allen Onkeln und Tanten zärtlich geliebt. Ausserdem
hat sie einen glühenden Verehrer in dem 3jährigen Söhnchen einer jungen Fraunicht identifiziert.
aus Wien, genannt Franz.
Ich wünschte es wäre Frank aus LandshutAnspielung auf Wedekinds am 22.5.1902 geborenen unehelichen Sohn Franklin Zellner, dessen Mutter Hildegarde Zellner, bis 1903 Wedekinds Haushälterin, aus Landshut stammte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 216f.]. Das Kind wuchs in Landshut bei seiner Großmutter Anna Zellner auf.. |
Ich habe mir die folgenden HefteTilly Wedekind hatte die beiden ersten Bilder von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern von Frank Wedekind“ in den Heften vom 26.6.1907 (Nr. 3) und 5.7.1907 (Nr. 4) der Literaturzeitschrift „Morgen“ vorliegen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907], bestellt hat sie sich die Fortsetzungen, das dritte Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 143-150] und das vierte Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 6, 19.7.1907, S. 175-181]. „Morgen“ in einer Grazer
Buchhandlung bestellt. Ich habe viel über das nachgedacht, was Du mir an dem
letzten Abend in Leipzigam 8.7.1907 [vgl. Tb]. gesagt hast. Ich kann
mit Bestimmtheit sagen, dass ich mich stets für das rein menschliche in der
Dichtung interressiertSchreibversehen, statt: interessiert. habe, u. ich glaube dass das, gerade bei Dir, immer dem
Stoff, der Idee zug/G/runde liegt.
Aber ich fürchte, dass ich Dich mit dem allen, u. überhaupt mit langen Briefen zum Sterben langweile. Öffnest
Du sie überhaupt gleich? Andere Frauen haben Dir sicher weit zärtlichere u.
weit geistreichere Briefe geschrieben. |
Ich möchte Dich nicht gern in Deinen Gedanken stören.
Wie gern möchte man dem geliebten Menschen alle Herzlichkeit
u. Innigkeit die man für ihn fühlt ausdrücken! Man fürchtet lächerlich zu
werden, u. kennt auch nicht die Stimmung, in welcher der Brief gelesen wird.
Ist das nicht erbärmlich klein?
Von ganzem Herzen küsst Dich
Deine Tilly
Liebster Papa,
Innigen Kuss
Deine Anna Pamela