FRANKFURTER-HOF
FRANKFURT A. MAIN
Liebe schöne Tilly,
ich freue mich sehr daß das alles so vorzüglich von statten
ging und daß Du gut untergebracht bist. In Leipzig hat es drei volle Tage von
früh bis spät ununterbrochen gegossen. Ich fand daher nicht den moralischen Mut
um 7 Uhr aufzustehn um hierher zu fahren. Heute Morgen im Augenblick der
AbreiseWedekind notierte am 15.7.1907: „Abfahrt von Leipzig nach Frankfurt.“ [Tb] erhielt ich noch | (Ich habe eben eine Preisliste für ein Löschblatt
gehalten, in Folge dessen die Schmiererei, die ich zu verzeihen bitte.) Deinen
lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907.. Ich käme allerdings ganz gerne
nach Graz und komme vielleicht auch, um Dich abzuholen. Aber vorher muß ich in
München erledigen wovon ich Dir sprachnur andeutungsweise von Finanzaktionen des Verlegers Albert Langen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907]., sonst verliert Alberwohl Schreibversehen, statt: Albert. Langen jede Achtung
und betrügt mich nach allen Richtungen. Dann kommt eine zweite sehr ernste
Angelegenheit. Ich
habe sehr an Gewicht zugenommen. und das bekämpfe ich jetzt durch Dampfbädervgl. dazu die vorangehende Korrespondenz mit Tilly Wedekind seit dem 11.7.1907., vieles
Spazieren-Rennen und Fasten. In | München werde ich mit dem Theatermaler BuschbeckHermann Buschbeck, Maler, Kunsthandwerker und Schauspieler, war am Münchner Hoftheater „Vorstand des Kostümwesens“ [Neuer Theater-Almanach 1907, S. 510]. Frank Wedekind, der im Vorjahr mit Tilly Wedekind zu einem Gastspiel in München war, hat am 29.6.1906 ein Beisammensein bei dem Hofschauspieler und Regisseur Fritz Basil mit den Hofschauspielern Gustav Waldau, August Weigert und Alois Wohlmuth, dem Schauspieler Hans Lackner (vom Münchner Schauspielhaus und Theater am Gärtnerplatz) sowie Hermann Buschbeck notiert (dabei war wohl auch Tilly Wedekind): „Abends bei Basil mit Waldau Lackner Weigert Wohlmuth Buschbeck e.ct.“ [Tb], dessen Du Dich vielleicht
vom verfloßnen Jahr erinnerst sofort
die KostümfrageWedekind hatte die anstehende Arbeit an den Kostümen zu „König Nicolo oder So ist das Leben“ bereits thematisiert [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907]. Notizen und Skizzen „zu den Kostümen Nicolos als König, Schneidergeselle, Schauspieler und Hofnarr enthalten vor allem Wedekinds Notizbücher“ aus dem Jahr „1907“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], das sind zwei Notizbücher [vgl. KSA 4, S. 648] mit Notizen zu den verschiedene Kostümen Nicolos [vgl. Nb 41, Blatt 21v-22r] und flüchtige Kostümskizzen mit vereinzelten Bemerkungen [vgl. Nb 43, Blatt 38v-42v, 43v-44r, 45v-46v]. für „S. ist d. Leben“ wieder aufnehmen.
Ich kann Dir heute noch nicht mit Bestimmtheit
voraussagen wann wir uns wiedersehn. Du wirst es aber leicht aus dem Gang
meiner Geschäfte entnehmen können. Außerdem hast Du wirklich dringend Ruhe
nötig. Was hilft es uns beiden wenn mich der Schlag trifft oder Du die
Schwindsucht bekommst.
In Leipzig war ich nur zwei | Abende mit Bekannten zusammen, den ersten AbendWedekind hat seiner Frau von dem Abend des 10.7.1907 in Leipzig geschrieben [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907], von seinem Beisammensein mit Johannes Mittelstaedt (am 3.8.1899 im Leipziger Majestätsbeleidigungsprozess um den „Simplicissimus“ der Untersuchungsrichter) und dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel (im Majestätsbeleidigungsprozess Wedekinds Verteidiger), außerdem mit Georg Witkowski (in den Prozessen um die „Büchse der Pandora“ am Landgericht I Berlin am 12.3.1905 und Landgericht II Berlin am 10.1.1906 als Sachverständiger herangezogen). von dem ich Dir
schrieb, mit dem Untersuchungsrichter und dem Vertheidiger aus dem
Simplizissimusprozeß und mit dem Sachverständigen
aus dem Prozeß der B. d. Pandora, das zwei MalSchreibversehen, statt: zweite Mal. – Wedekind hat am 12.7.1907 in Leipzig ein Beisammensein mit Kurt Hezel notiert (dabei war auch der Rechtsanwalt Dr. Gerhard Hübler): „Abends mit Hetzel und Dr. Hubler.“ [Tb] war ich mit Hetzel allein. Die
übrigen AbendeWedekinds Tagebuch zufolge war er am 11.7.1907 („Abends allein im Ratskeller“), 13.7.1907 („Abends allein im Ratskeller“) und 14.7.1907 („Allein im Ratskeller“) ohne Gesellschaft im Leipziger Ratskeller, um zu arbeiten – er konzipierte dort ein Drama „Das Kostüm“ (siehe unten). schrieb ich„Wedekind beginnt um diese Zeit mit den Vorarbeiten zu dem Einakter ‚Die Zensur‘“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], der den Arbeitstitel „Das Kostüm“ hatte [vgl. KSA 6, S. 827, 833]. im Ratskeller.
Da ich hier selbst auf Geld warte, schicke ich Dir
morgen 100 M. und am Mittwoch oder Donnerstag noch 200.
Grüße Anna Pamela von mir
Ich küsse Dich in Gedanken, geliebte Tilly
Dein Frank
Montagder 15.7.1907. Abend.