mirDer Beginn von Friedrich Rosenthals Geschäftsbrief an Wedekind ist nicht überliefert und es ist unklar, in welcher Sache er als Rechtsanwalt hier Wedekinds Interessen vertrat., was Sie thun wollen; vielleicht kann ich selbst mit den
betreffenden Redactionen sprechen und das Geeignete veranlassen.
Mit den freundlichsten Grüßen
Ihr
ergebener
Dr FR
Justizrat.
Ich war die letzten Tage in Wien & wo
die Verhandlung HenryKarl Kraus führte gegen den Kabarett-Leiter Marc Henry und dessen Gattin, die Sängerin Marya Delvard, einen Prozess wegen Körperverletzung und Beleidigung. Die Verhandlung fand am 25.5.1906 in Wien statt. Die Presse berichtete: „Vor dem Strafrichter des Bezirksgerichtes Josefstadt Landesgerichtsrat Dr. v. Heidt hat heute eine Szene ihr Nachspiel, die sich gegen 3 Uhr Morgens am 30. April im Casino de Paris am Petersplatz zutrug. Angeklagt sind der Leiter des Cabarets ‚Nachtlicht‘ Achille D’Ailly Vaocheret, genannt M. Henry, die Künstlerin Marya Delvard und Karl Kraus. […] Die offizielle Anklage wegen leichter Körperverletzung stützt sich auf die polizeiliche Meldung, der auch ein Parere über die Verletzungen Kraus’ beiliegt. […] Die sich hieran anschließende Privatklage des Karl Kraus enthält in Kürze folgende Darstellung: Kraus kam mit den Herren Egon Fridell und Erich Mühsam ins Casino de Paris; an einem Nebentische saß bei der Cabaret-Gesellschaft der Schriftsteller Peter Altenberg. Kraus, der mit diesem auf gespanntem Fuße stand, behauptet nun, er habe sich mit ihm einen Scherz machen wollen, der zur Versöhnung führen sollte, und habe Altenberg ein Couvert mit 10 K. Honorar geschickt. Dies habe Henry dazu benützt, aus Rache für eine Glosse in der ‚Fackel‘, Herrn Altenberg aufzustacheln und er habe ihn, Kraus, beschimpft. Fräulein Delvard habe ihn gleichfalls beschimpft und gerufen: ‚Idiot…so ein alberner Aff'!‘ Trotz seiner Erregung habe Kläger nicht reagiert, Herr Mühsam habe intervenieren wollen, doch habe Henry ausgerufen: ‚Ich bin Franzose und lasse mich von einem Deutschen nicht belehren, noch dazu von einem Juden.‘ Kläger wollte sich mit Herrn Mühsam entfernen, wurde aber von den Kellnern zurückgerufen, ‚da ein Verehrer aus Ungarn mit ihm dringend sprechen wolle‘. Dies habe Herr Henry zu einem weiteren Ueberfalle benützt und mit dem Rufe ‚Jetzt hab' ich den Kerl‘ auf ihn losgeschlagen, er sei gestürzt, geschleift worden und Henry habe seinen Kopf mit den Fäusten bearbeitet. Kläger sei halb ohnmächtig am Boden gelegen, als noch Fräulein Delvard herbeikam und mit den Worten stieß: ‚Hier noch Eins von mir!‘ wobei sie ihn wütend auf Nase und Augen schlug und erklärte, ihn tödten zu wollen, es sei dies nicht genug, er müsse ganz hin werden, ganz Wien würde ihr danken, von dieser Pest befreit zu sein, man würde für sie Messen lesen. Kläger wurde auf einen Sessel gesetzt, da er ohnmächtig war, trotzdem sei weitergeschimpft worden […] Der Richter fand Henry der vorsätzlichen Körperverletzung und der Ehrenbeleidigung schuldig und verurteilt ihn zu einem Monat Arrest. / Die Angeklagte Marya Delvard wurde der Ehrenbeleidigung schuldig erkannt und 300. K. Geldstrafe verurteilt.“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 40, Nr. 143, 25.5.1906, Abendblatt, S. 3] Hauptgegenstand der
Diskussion, bis die MinisterkriseSeit dem 26.5.1906 berichtete die Presse über Spannungen zwischen Österreich und Ungarn aufgrund der Festlegung von Zolltarifen. Nachdem der Kaiser der ungarischen Seite noch vor einer Einigung Zugeständnisse machte, kam es zur Ministerkrise: „Durch diese Vorsanktion ist eine Sachlage geschaffen worden, mit der die österreichische Regierung sich nicht einverstanden erklären kann, weil sie im entschiedensten Widerspruche zu ihren Rechtsansichten steht. Daraus ergab sich von selbst, daß die Ausgleichskrise in Oesterreich zum Ausbruch einer Ministerkrise führen mußte. Der österreichische Ministerpräsident Prinz Hohenlohe ist heute gegen 9 Uhr vom Kaiser empfangen, worden, und nach diesen Voraussetzungen war es selbstverständlich, daß er die Demission des Kabinetts angeboten hat und die Ministerkrise ausgebrochen ist.“ [Neue Freie Presse, Nr. 15001, 28.5.1906, Abendblatt, S. 1] den Fall ablöste. Es würde mich intressiren,
die weiteren
Nummern der FackelDie nächste Nummer der „Fackel“ nach dem gewonnenen Prozess gegen Henry, die Nr. 204, erschien am 31.5.1906., die nach Ihrem Brief an Kraus liegen, kennen zu lernen; es
scheint seitdem keine erschienen zu sein.
Ich freue mich daß wir Sie u Ihre liebe Frau nächsten | Monat hierWedekind kehrte am 26.6.1906 aus Berlin nach München zurück: „Ankunft in München. Wir mieten zwei Zimmer Hochbrückenstraße 18.I.“ [Tb] Er war rund 10 Monate zuvor, am 5.9.1905, aus München nach Dresden und Berlin abgereist. sehen werden, u sind wir bis dahin schon
noch in München
Mit besten Grüßen an Ihre l. Frau
u an Gerhäuser auch
Namens meiner Frau Ihr ergebenster
Dr FR
Louise Halbe erzält, daß
Ih ihrem Mann in Ihrer unmittelbaren Nähe im Schlafwagenauf der Fahrt mit dem Nachtzug von Berlin nach Nürnberg am 1.5.1906, dem Tag, an dem Wedekind und Tilly Newes geheiratet haben und somit ihre Hochzeitsnacht im Schlafwagen verbrachten, das Ehepaar Max und Luise Halbe im Abteil nebenan: „Fahrt nach Nürnberg Wand an Wand mit Max Halbe und Frau.“ [Tb] so unbehaglich
wurde, daß er sich ein anderes Bett geben ließ, während sie geblieben sei.