PENSION BELLEVUE
BERNE
6 a Effingerstrasse
à 3 minutes de la gare
Lumière electrique, Lift, chauffage
central
Portier à la gare
Prop.: Metz, Himmelhan & Cie.
Téléphone 2534
le 191
Sonntagder 7.4.1912, Ostersonntag., d 7 M/A/pril
Mein lieber Frank
Ich habe Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Elias Tomarkin, 4.4.1912. – Wedekind dürfte dem Freund in dem nicht überlieferten Brief Mittheilungen über seinen Aufenthalt in Bern vom 5. bis 9.4.1912 zu dem einmaligen „Erdgeist“-Gastspiel am 8.5.1912 am dortigen Stadttheater gemacht haben. In der Presse war angekündigt: „Am kommenden Montag [...] findet ein hochinteressantes Gastspiel statt. Frank Wedekind und Frau [...] treten nur dies eine Mal auf in des Dichters Stück ‚Der Erdgeist‘. Frank Wedekind hat durch sein persönliches Auftreten auf den Bühnen bewiesen, daß in vielen seiner dramatischen Arbeiten ein tieferer sittlicher Gehalt zu finden ist, als es bei oberflächlicher Lektüre den Anschein hat. Die vielen Anfeindungen, die er hauptsächlich auch durch das Verbot einzelner seiner Stücke erleiden mußte, haben nicht hindern können, daß Wedekinds Werke immer weiter verbreitet und in einer großen Anzahl von maßgebenden Städten aufgeführt werden. [...] Die Freunde literarischer Kunst werden gewiß dem Werke des eigenartigen Dichters mit Interesse entgegensehen und das künstlerische Ehepaar als Vertreter der beiden Hauptpartien im ‚Erdgeist‘ gastfreundlich aufnehmen. Die Vorstellung findet außer Abonnement bei Opernpreisen statt.“ [Der Bund, Jg. 63, Nr. 159, 3.4.1912, Abendblatt, S. 3] Und nochmals: „Montag findet als dritter literarischer Abend ein einmaliges Gastspiel des Künstlerpaares Frank Wedekind und Frau statt. Zur Aufführung gelangt Frank Wedekinds ‚Erdgeist‘, worin der Dichter die Rolle des ‚Dr. Schön‘ und seine Gattin die der Rolle der ‚Lulu‘ spielen. Auf dieses jedenfalls interessante Gastspiel sei nochmals besonders aufmerksam gemacht.“ [Der Bund, Jg. 63, Nr. 162, 6.4.1912, Morgenblatt, S. 2] erst heute Mittags in meiner WohnungElias Tomarkin wohnte dem gedruckten Briefkopf des vorliegenden Briefs zufolge in der Pension Bellevue. Im Berner Adressbuch ist er nicht verzeichnet. erhalten. Um 3 Uhr war ich bei
DirElias Tomarkin war am 7.4.1912 auf der Suche nach Wedekind vergebens in dem Hotel, in dem Wedekind logierte, während Wedekind nachmittags am 6.4.1912 in Bern seinerseits nach dem Freund gesucht hatte: „Mittagessen im Hotel. Geschlafen. Spaziergang durch die Stadt [...] Auf der Suche nach Thomar im Café heilige Elisabeth“ [Tb]., es hieß aber, Du seiest wahrscheinlich nach InterlakenWedekind in Bern hat am 7.4.1912 Ausflüge notiert: „Auf dem Gurten. Thunersee und Interlaken.“ [Tb] gegangen. Ich muß mich also in meinem herzlichen
Wunsche, Dich und Deine verehrte Gattin zu begrüßen, noch h/b/is morgender 8.4.1912, Ostermontag – abends fand im Stadttheater in Bern die „Erdgeist“-Vorstellung mit Tilly Wedekind als Lulu und Frank Wedekind in der Rolle des Dr. Schön statt.
gedulden.
Es freut mich wirklich gar sehr, Euch hier zu sehen. Morgen,
Montag, werde ich wa etwa gegen ½ 9 Uhr morgens bei Dir im Hotelnicht ermittelt. Wedekind dürfte dem Freund sein Hotel in Bern in dem nicht überlieferten Brief (siehe oben) mitgeteilt haben. | antelephoniren.
Es wäre mir sehr lieb, wenn ich mit Dir der
Probe anwohnenWedekind dürfte dem Freund in dem nicht überlieferten Brief (siehe oben) vorgeschlagen haben, die Probe am 6.4.1912 zu besuchen (was nicht zustande kam): „Probe von Erdgeist.“ [Tb] Elias Tomarkin wohnte dann der Generalprobe am 8.4.1912 bei (und besuchte abends die Vorstellung): „Generalprobe vor Thomarkin. Zu Hause geschlafen. Vorstellung von Erdgeist. Nachher mit Thomar [...] im Casino“ [Tb]. Wedekind hat sich am Tag seiner Abreise von Bern nochmals mit dem Freund getroffen; er notierte am 9.4.1912: „Diner mit Thomar im Hotel Abfahrt nach St. Gallen.“ [Tb] könnte. Für den Abend habe ich bereits BilleteTheaterkarten für die Vorstellung am 6.4.1912 um 20 Uhr im Stadttheater in Bern: „III. literarischer Abend. Gastspiel Frank Wedekind und Frau Wedekind. ‚Erdgeist.‘“ [Berner Intelligenzblatt, Jg. 79, Nr. 95, 6.4.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Die Presse warb noch am Tag der Aufführung: „Gastspiel Frank Wedekind und Tilly Wedekind-Newes. Frank Wedekind ist ein Altergenosse der Naturalisten. Seine ersten Werke ‚Frühlings Erwachen‘ und ‚Erdgeist‘ erschienen gleichzeitig mit Hauptmanns ‚Webern‘ und mit Halbes ‚Jugend‘. Da sich Wedekind aber in keiner Weise von den herrschenden literarischen Zeitströmungen in seinem Schaffen beeinflussen ließ, wurde er Jahre lang so gut wie gar nicht genannt. Sobald seine Werke dann bekannt wurden, entfesselten sie sofort eine stürmische Opposition, die aber neuerdings überall einer ruhigen Würdigung seiner künstlerischen und ethischen Verdienste Platz macht. Vor einigen Jahren verheiratete sich Frank Wedekind mit der Schauspielerin Tilly Newes, die schon als junge Anfängerin in einer in Wien von Karl Kraus, dem geistvollen Herausgeber der ‚Fackel‘, veranstalteten Sondervorstellung von Wedekinds ‚Die Büchse der Pandora‘ die Rolle der Lulu kreiert hatte. Frau Tilly Wedekind, später am Kleinen Theater in Berlin tätig, ist heute nach dem Urteil erlesener Kritiker die berufenste Darstellerin der wichtigsten Frauenrollen in den Werken ihres Gatten.“ [Der Bund, Jg. 63, Nr. 163, 7.4.1912, S. 4] Über die Aufführung hieß es: „Das Gastspiel von Frank Wedekind und Frau mit Wedekinds Tragödie ‚Erdgeist‘ war, wie uns berichtet wird, ein künstlerisches Ereignis. Selbst vielerfahrene Theaterleute behaupten, noch selten eine so interessante Schauspiel-Vorstellung gesehen zu haben. Leider hatte der Besuch etwas unter der Ostermontags-Stimmung zu leiden, er hätte besser sein dürfen. Eine Wiederholung der Gastspiels ist der vorgerückten Spielzeit wegen leider nicht möglich.“ [Der Bund, Jg. 63, Nr. 165, 9.4.1912, Abendblatt, S. 3] mit
einem befreundeten Dr.
Rothermundt aus DresdenDer Arzt Dr. med. Max Rothermundt (Riedweg 17) [vgl. Berner Adressbuch 1912-1913, Teil VII, S. 370], „der deutsch-russische Bakteriologe und Vorsteher des Berner Pasteur-Instituts“ [Rogger/Herren 2012, S. 198], war der Sohn des russischen Unternehmers Adolph Rothermundt aus St. Petersburg, der 1895 mit seiner Familie nach Dresden zog und sich dort als Kunstmäzen einen Namen machte. Er war ein Kollege Elias Tomarkins am Bakteriologisches Institut in Bern (Friedbühlstraße 22) [vgl. Berner Adressbuch 1912-1913, Teil VII, S. 156]; wenige Tage nach dem vorliegenden Brief teilte die Presse seine Wahl mit „zum I. Assistenten am hygienisch-bakteriologischen Institut: Dr. Max Rothermund“ [Der Bund, Jg. 63, Nr. 180, 18.4.1912, Morgenblatt, S. 2]., der Dich gerne sehen möchte. Herr R. ist an unserm Institut. –
Heute ist es sch so
schön draußen u. ich hätte herzlich gerne eine heitere Osterstunde mit Euch
gefeiert.
Es grüßt Euch in Herzlichkeit, aufrichtiger
Wiedersehensfreude und in unwandelbarer Treue
Euer alter
Eli