München, 34. Adalbertstraße.
X. Juli 96.
Lieber FreundKarl Henckell lebte in Zürich (V, Mühlebachstraße 90) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1896, Teil I, S. 203] und war dort nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Verleger und Herausgeber verzeichnet [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1897, Teil II, Sp. 521].,
ich schicke dir hier den Briefnicht überlieferte Beilage. der betreffenden
Damenicht identifiziert; dem Brief liegt kein Brief der Dame aus Paris mehr bei. in Paris. Mit Scharf bin ich auch nicht zusammengekommenLudwig Scharf lebte seinerzeit noch in München (Wilhelmstraße 3e) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1896, Teil II, S. 539]., werde mich aber
nächster Gelegenheit nach seiner Arbeit erkundigen und dir schreiben, wie es
damit steht.
Leider bin ich mit meinen | eigenen
AngelegenheitenWedekinds Dramenprojekt „Das Sonnenspectrum“ war noch immer nicht abgeschlossen [vgl. KSA 3/II, S. 1355-1361], mit der Arbeit an dem Opernlibretto „Nirwana“ begann er „Ende Juli 1896“ [KSA 3/II, S. 1469]. immer le
retard(frz.) in Verzug.. Vielleicht
schickst du mir GelegentlichSchreibversehen, statt: gelegentlich. einige Druckbogen des rothen HeinrichIn Karl Henckells Verlag (siehe unten) hergestellte Druckbogen des von Elias Tomarkin „lange mit sich herumgetragenen Romans, betitelt ‚Der rote Heinrich‘, der schließlich, d.h. sein erster Teil doch endlich das Licht der Welt erblickte.“ [F.M.: Zürcher Bilder. Zürich und die neuere deutsche Literatur. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 135, Nr. 595, 19.4.1914, 3. Sonntagsblatt, S. (1)] Der Roman ist „nie ganz veröffentlicht worden“ [Urner 1976, S. 270f.]. Er erschien unter dem Pseudonym Ernst Thoma unter dem Titel „Eine Lebensgeschichte“ Ende 1897 im Verlag von Karl Henckell in Zürich mit einem Umfang von 379 Seiten [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 297, 22.12.1897, S. 9611] und war erst kurz zuvor angekündigt worden [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 276, 27.11.1897, S. 8894]. Franz Blei, der den Namen des Verfassers nicht nannte, erinnerte sich an „einen, der [...] ein ewiger Student war und unter seinem Bett ein dickes Bündel vollgeschriebener Seiten verbarg, einen Roman ‚Der rote Heinrich‘.“ [Franz Blei: Erzählung eines Lebens. Leipzig 1930, S. 196] Elias Tomarkin in Zürich (V, Florastraße 50) war verzeichnet als „Stud. Med.“ [Adressbuch der Stadt Zürich für 1895, Teil I, S. 469]. Karl Henckell erinnerte sich: „[...] der ‚immer langsam voran‘ pilgernde Königsberger stud. med. Elias Tomarkin“, der „auf der heimlichen Traumeswiese am Zürichberg lustwandelte und an seiner üppig phantasiereichen ‚Lebensgeschichte‘, dem ‚Roten Heinrich‘, seinem ewigen Schmerzenskinde, herumsinnierte und skizzierte, sofern er nicht als klug vermittelnder Weltversöhnungsagent irgendeinem kleinen Stimmungskrach zwischen gemeinsamen Freunden mit väterlicher Überredung würdig auszugleichen suchte.“ [Henckell 1923, S. 272] In den Romantext sind Elis Tomarkins „politische Anliegen eingeflochten: der Sieg der Sozialisten, die Emanzipation der Frauen und der Kampf gegen den Antisemitismus.“ [Rogger/Herren 2012, S. 194; ebd. das Faksimile des Titelblatts]. Grüße Tomar
aufs herzlichste. Nächster Tage ist mein GeburtstagWedekinds 32. Geburtstag am 24.7.1896., Ich bin sehr gespannt ob
ich bei der Gelegenheit vielleicht etwas über das Befinden meiner lieben
Angehörigen erfahre.
Mit den herzlichsten Grüßen an dich und die Deinen
und den besten Wünschen zum Gelingen | deiner UnternehmungenKarl Henckell hatte im Vorjahr mit seinem Bruder und zwei Freunden einen Verlag gegründet: „Karl Henckell [...] in Zürich V, Gustav Maier [...] in Zürich V, Gustav Henckell [...] in Lenzburg, und Walter Laué [...] in Düsseldorf haben unter der Firma Karl Henckell & Cie, Verlag der fliegenden Schriften in Zürich V eine Kommanditgesellschaft eingegangen, welche am 18. September 1895 ihren Anfang nahm. Unbeschränkt haftender Gesellschafter ist Karl Henckell und Kommanditäre sind: Gustav Maier, Gustav Henckell, jeder mit dem Betrage von eintausend Franken und Walter Laué mit zweitausend Franken. Herausgabe literarischer Werke. Mühlebachstrasse 90.“ [Schweizerisches Handelsamtsblatt, Jg. 13, Nr. 276, 11.11.1895, S. 1147] Das war im Frühjahr im Fachblatt annonciert worden: „Zürich, April 1896. [...] Wir beehren uns hierdurch die Mitteilung zu machen, daß wir hierselbst unter der Firma Karl Henckell & Comp. eine Verlagsbuchhandlung eröffnet haben. [...] Ueber unsere Unternehmungen werden binnen kurzem Cirkulare zur Versendung gelangen. Hochachtungsvoll Karl Henckell & Comp.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 91, 21.4.1896, S. 2382] Karl Henckell war seit kurzem Mitglied im Buchhandelsfachverband: „In den Börsenverein der Deutschen Buchhändler sind in der Zeit vom 1.‒30. Juni 1896 folgende Mitglieder aufgenommen worden: [...] 5797 [= Nummer in der Mitgliederrolle] Henckell, Karl, in Firma Karl Henckell & Co. in Zürich.“ [Bekanntmachung. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 149, 30.6.1896, S. 3837] Die ersten Bände erschienen.
dein alter
Frank Wedekind.