DEUTSCHE REICHSPOST
POSTKARTE
An
Familie Wedekind
auf Schloß Lenzburg
Schweiz |
Meine Lieben! Fröhlichen guten
Morgen rufe ich Euch zu; mich selbst hat Armins Briefnicht überliefert. wieder so vergnügt gemacht, ich erhielt ihn soeben als
Sonntagsmorgengruß. Herzlichen Dank dafür,/./ Wann wird sich Bab/Fran/klin herablassen
seinem Beispiel zu
folgen? Und Mietzelefamiliärer Kosename von Erika Wedekind.
& Dodafamiliärer Kosename von Donald Wedekind.? Grüßt
mir alle lieben Bekannten die Euch als zu besuchen kommen. Ich kann gar nicht
recht schreiben, es schwatzen Alle um mich herum – entsetzlich! – Wie Ihr
bereits aus meinen vorigen
Briefennicht überlieferte Korrespondenzstücke an Mitglieder der Familie Wedekind. – Minna von Greyerz war Ende August 1884 von Lenzburg nach Dresden gezogen, um dort am "Königlichen Conservatorium für Musik" Klavier und Gesang (für künftige Lehrerinnen) zu studieren. ersehen
konntet, geht es mir so weit recht gut, nicht daß mir nichts mehr zu wünschen
übrig bliebe, im Gegentheil, man macht in einer Großstadt plötzlich andre
Ansprüche, hat mehr Bedürfnisse, es steigern sich die Wünsche in geistiger
Beziehung besonders. Wenn Ihr mich nun spielen u singen hörtet, ihr würdet
beinah auf den Kopf stehen, denn ich übe nicht anders, denn jede Anfängerin u
das ist vorderhand schrecklich langweilig, wenigstens fürs Clavier besonders langweilig. In den übrigen FächerSchreibversehen, statt: Fächern. giebt es meist viel zu
schreiben. Daneben giebt es natürlich viel Abwechslung, man sieht u hört so
viel im Tag, wie in Lenzburg
kaum in einem Monat. Sob/e/ben komme ich aus der katholischen KircheWie die Presse berichtete gab am 14.9.1884 der Dirigent der Kirchenmusik Prof. Dr. Wüllner nach mehrjähriger Tätigkeit sein Abschiedskonzert in der Katholischen Hofkirche [vgl. Dresdner Nachrichten, Jg. 29, Nr. 258, 14.9.1884, S. 3]. u habe die Cmoll MesseBeethoven hat 2 Messen komponiert, eine C-Dur Messe und die unter dem Namen „Missa solemnis“ bekannte Messe in D-Dur. Letztere hörte Minna von Greyerz, wie aus dem gedruckten Konzert-Programm hervorgeht: „Heute (Sonntag) kommen in der Katholischen Hofkirche zur Aufführung: Missa von Beethoven, ‚Ave Maria‘ von Cherubini, ‚Laudate‘ von Mozart, Vesper für 8 Stimmen von Kretschmer.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 29, Nr. 258, 14.9.1884, S. 3]. von Beethoven gehört, doch wurde leider der
musikalische Genuß durch die beklemmenden, beengende Ceremonien ziemlich gedämpft, denn ich stand
im Menschengedränge u mußte
somit zusehen, statt wie ich lieber gewollt hätte, mich in einen stillen Winkel
zu setzen. Vorhin bekam ich auch von AnnyAnny Barck aus Freiburg im Breisgau, die im Sommer 1883 zu Besuch in Lenzburg war; die Korrespondenz der Freundinnen ist nicht ermittelt. wieder Nachrichten. Ach nicht wahr ich bekomme von Euch
Allen, (vielleicht gar von Onkel WFrank Wedekinds Vater Friedrich Wilhelm. Briefe auf den 27
Oktober? Denn an diesem, meinem JahrestageAm 27.10.1884 wurde Minna von Greyerz 23 Jahre alt. schmachte ich um so mehr nach Nachrichten von zu Haus,
als ich dies Mal still und unf einsam mein Wiegenfest begehen werde.
Verzeiht daß ich Euch nicht mehr erzählt habe. Nächste Woche könnt ihr wieder
Briefe bei Mutterle
holen. Hat Franklin O.
Plümachers BuchOlga Plümachers philosophische Untersuchung „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“ (1884), von dem sie je ein Exemplar an Frank Wedekind und an seine Mutter Emilie schenkte.
geholt? Sonst hole er’s bei uns zu Hause. Mit herzlichen Grüßen an Euch
Alle
Eure Minna.
[Am linken Rand um 90 Grad gedreht:]
Dresden Sonntag Sept. 1884.