2.
August 1903.
Lieber
Blei!
Beim
herrlichsten Wetter sitze ich hierin Lenzburg. Wedekind ist am 14.7.1903 von München in den Urlaub nach Lenzburg abgereist – „Wedekind reist morgen ab“ [Tb Halbe, 13.7.1903]; den Abend zuvor, am 13.7.1903, hatte er in München seinen Abschied vom Freundeskreis gefeiert – „W. [...] hat gestern in der Torggelstube Abschiedscour gehalten“ [Tb Halbe, 14.7.1903]. in idyllischer Einsamkeit, blauer Himmel,
romantische Umgegend und Ruhe. Ich hoffe hier die SymtomeSchreibversehen, statt: Symptome. der Versumpfung
loszuwerden und wieder nach eigenen Normen empfinden zu lernen. Was du mir über
die Scharfrichterei schreibstHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 1.8.1903. Franz Blei hatte Wedekind über sein Engagement als Regisseur bei den Elf Scharfrichtern (siehe unten) informiert und offenbar vorgeschlagen, „Das Sonnenspectrum“ und den 3. Akt der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ an der Münchner Kabarettbühne zu inszenieren., hat | mich sehr gefreut. Freilich mit dem
Sonnenspectrum weiß ich nicht wie das werden soll. Ich habe das Manuscript
nicht hier und habe es seit bald zehn Jahren nicht mehr gelesen. Es ist sehr
langathmig, hat wenig Handlung und würde, so fürchte ich die Zuschauer auch
bei der besten Darstellung ermüden. In Wirklichkeit ist es der erste AktWedekind hatte den 1. Akt seines 1893 konzipierten Dramenprojekts „Das Sonnenspectrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-705; vgl. KSA 3/II, S. 1360f.] als Einakter im Herbst 1900 fertig geschrieben [vgl. KSA 3/II, S. 1355-1358], überliefert sind ferner ein Fragment der Szene II/2 [KSA 3/I, S. 705-708] und ein Fragment des 4. Akts [KSA 3/I, S. 708]. „Die von Franz Blei geplante Aufführung bei den Münchner ‚Elf Scharfrichtern‘ kam nicht zustande.“ [KSA 3/II, S. 1450] eines
auf 4 Akte berechneten Dramas und als solcher noch dazu sehr | in die Länge
gezogen. Was den 3 AktDas Manuskript der Kabarettbearbeitung des 3. Akts der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) ist verschollen [vgl. KSA 3/II, S. 862]. Ihre Aufführung war im Programmheft der Elf Scharfrichter vom November 1903 unter dem Titel „LULU. Tragödie in einem Aufzug vom Scharfrichter FRANK WEDEKIND“ [KSA 3/II, S. 1296] sowie in der Presse angekündigt (am 29.10.2903 in den „Münchner Neuesten Nachrichten“) und sollte am 7.11.1903 als ‚Ehrenexekution‘ stattfinden (die erste Subskriptionsvorstellung am 12.11.1903), wurde aber von der Zensur verboten, was die Polizeidirektion München der Direktion der Elf Scharfrichter (Marc Henry) erst am 2.12.1903 mitteilte [vgl. KSA 3/II, S. 1208f., 1296f.]. der Büchse der Pandora betrifft, so halte ich es für
richtig, die SaisonDie Wintersaison 1903/04 der Elf Scharfrichter (die letzte Saison des Kabaretts, das sich dann auflöste) begann am 1.10.1903, das Programm unter der Regie von Franz Blei, wie angekündigt war: „Die Elf Scharfrichter eröffnen Donnerstag, 1. Oktober, mit der üblichen Ehrenexekution vor geladenen Gästen ihre Saison. [...] Die Oberregie des Programms besorgt Franz Blei. [...] Die erste öffentliche Vorstellung findet Freitag, 2. Oktober, statt.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 451, 27.9.1903, S. 2] Über die Eröffnungsvorstellung hieß es: „Ein wahrhaft unermeßliches Programm vereinigte Donnerstag Abend die Gäste einer Ehrenexekution der Elf Scharfrichter in dem wohlbekannten Lokal an der Türkenstraße und zeigte in der Tat, was Herr Henri in seinen Eröffnungsworten versicherte, daß die Herren in viermonatiger Pause tüchtig gearbeitet haben. [...] Die Oberregie lag in den Händen des Herrn Dr. Franz Blei und die ganzen Darbietungen zeugten von einer festen, kundigen Hand und fleißigster Vorarbeit.“ [fo.: Bei den elf Scharfrichtern. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 461, 3.10.1903, Vorabendblatt, S. 2-3] nicht damit zu eröffnen. Wenn Du es in der Mitte des
Winters mit guten Kräften besetzen kannst so soll mich das sehr freuen.
Die
Nachricht von deinem EngagementFranz Blei war für die nächste Saison (siehe oben) der Elf Scharfrichter (Direktion: Marc Henry) als Oberregisseur und Dramaturg engagiert worden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 444]. bei den Scharfrichtern war mir eine sehr
erfreuliche Überraschung, vor allem im Hinblick auf die Scharfrichter. Henry | erwartet
seit 14 Tagen einen Brief von mir. Ich habe aber eben erst begonnen, hier etwas
frische Luft zu schnappen und hatte noch nicht eine Zeile gearbeitet, weder für
die Scharfrichter noch an sonst einem Stoff. Ich nehme heute meine ganze
Energie zusammen um die Feder zu ergreifen und hoffe so, daß ich auch ihm noch antworten
werde.
Grüße
bitte Bierbaum, wenn Du ihn siehst.
Mit den
besten Grüßen an Frau MariaMaria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet. und Dich Dein
Frank.
[am linken Rand:]
Willst Du
TillyTilly Brannenburg hatte im Vorjahr in einer ganzen Reihe von Inszenierungen der Elf Scharfrichter auf der Bühne gestanden [vgl. Kemp 2017, Anhang Repertoire, S. 6, 10-13, 20, 26, 29, 69; Anhang Ensemble, S. 7], darunter in der Uraufführung von Wedekinds Pantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ (1897) am 12.3.1902 in der Titelrolle „Fillisa XXII., Kaiserin von Neufundland“ [Programm Die Elf Scharfrichter, März-April 1902, S. 3]. Franz Blei hat sie im aktuell zusammengestellten Programm der Elf Scharfrichter nicht berücksichtigt. nicht bei den Scharfrichtern
auftreten lassen?