Geliebtester,
Täglich, stündlich erwarte ich den angekündigten, langen
Brief! ‒ ? ‒ Ich kam bis dato noch
nicht dazu Dir zu schreiben, weil ich nach meiner entsetzlichen RückfahrtBerthe Marie Denk hat Wedekind vier Tage in München besucht und ist am 1.7.1905 zurück nach Wien gefahren: „Maria packt ihren Koffer. [...] Wir fahren zum Bahnhof [...]. Sie reist ab nach Wien.“ [Tb] (‒ ich wäre | beinahe
vergewaltigt worden) ‒
krank in Wien ankam u. 3 Tage liegen musste! ‒
Ich sehne mich ganz unbändig nach Dir, ‒ hoffe dass auch Du mich
nocht nicht vergessen! Schreib doch!
Was ist denn mit | meinem rothen KardinalWedekind hat der Geliebten bei ihrem Besuch in München versprochen, für sie ein Gemälde kopieren zu lassen. „Berthe Marie Denk bezieht sich auf Raffaels Bildnis des Tomasso Inghirami in roter Robe“; ein Exemplar „des Bildes befindet sich [...] in der Galleria Pitti in Florenz [...]. Da Berthe Marie Denk mehrmals nach Florenz reiste, könnte sie dort das Bild gesehen haben. Möglicherweise befand sich auch eine Kopie des Originals in einem Münchner Museum.“ [Waldmann 1996, S. 118f.; vgl. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Inghirami_Raphael.jpg] Wedekind hat am Abreisetag seiner Geliebten, am 1.7.1905 (Samstag), einen gemeinsamen Museumsbesuch notiert: „Wir [...] fahren in die neue Pinakotek.“ [Tb] Sie haben also die Gemäldesammlung in der Neuen Pinakothek (Barerstraße 29) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil II, S. 619] vor 16 Uhr besichtigt, geöffnet: „Samstag von 9-4 Uhr, [...] Eintritt frei.“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil III, S. 106] Während sich mindesten drei Gemälde von Kardinälen in roter Robe im Besitz der (damals samstags geschlossenen) Alten Pinakothek (Barerstraße 27) befanden und befinden [vgl. „Peter Paul Rubens, Bildnis des Don Fernando, Kardinal-Infant von Spanien, 1628/29“, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/0vxoZ3D42V; „Lucas Cranach d. Ä., Kardinal Albrecht von Brandenburg vor dem Gekreuzigten, 1520/25“, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/Znxw0D7LXg; „Jean Hey, Karl II. von Bourbon, Kardinalerzbischof von Lyon, um 1482/83“, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/wq4jjAP4Wo], könnte eine Kopie jenes Porträts, das Raffael malte, „den als Dichter und Prediger gleich bewunderten päpstlichen Sekretär und Bibliotheksvorsteher Tommaso Inghirami“ [H. Knackfuß: Raffael. 2. Aufl. Bielefeld und Leipzig 1895, S. 91], in der Neuen Pinakothek zu sehen gewesen sein.? ‒ Ich bin vor lauter
HitzeDie „anhaltende, wahrhaft tropische Hitze“ [Die Hitze. In: Arbeiter-Zeitung, Jg. 17, Nr. 184, 6.7.1905, Morgenblatt, S. 6] in Wien war schon nicht mehr so groß: „Die Gewitter, die gestern abends über Wien [...] niedergegangen sind, haben eine wenn auch sehr unbedeutende und kaum merkliche Abschwächung der Hitze gebracht. Heute mittags zeigte das Thermometer am Wetterhäuschen im Stadtpark 28.5 Grad Celsius im Schatten, während man gestern um diese Zeit 30.5 Grad ablesen konnte.“ [Die Hitze. In: Neue Freie Presse, Nr. 14679, 6.7.1905, Abendblatt, S. 3] schon total verblödet!
Demnächst mehr!
Innigsten Kuss
Deine Braut