Mittwoch.
7./VI.
Lieber Herr Frank Wedekind! ich
danke Ihnen sehr für Ihren lieben Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind [hier noch: Newes], 4.6.1905., auf den ich natürlich furchtbar stolz
bin. Mir war auch sehr leid, dass niemandBesprechungen der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 waren zwar spärlich, aber Karl Kraus hat vier Rezensionen – am 30.5.1905 im „Deutschen Volksblatt“, am 31.5.1905 im „Wiener Deutschen Tagblatt“ und im „Berliner Tageblatt“, am 4.6.1905 im „Neuen Pester Journal“ – nachgewiesen [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 28]. über die Vorstellung geschrieben hat.
Deshalb bleibt es mir aber doch ein unvergesslicher Abend. – | Um länger hier
bleiben zu können, erzählte ich meinen Verwandten von einer 2ten VorstellungDie zweite (wiederum geschlossene) Vorstellung der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ fand am 15.6.1905 statt (ein Donnerstag), der genaue Termin wurde aber erst nach dem 11.6.1905 festgelegt, wie der „Fackel“ vom 9.6.1905 zu entnehmen ist, in der Karl Kraus den Vorverkauf annoncierte: „Eine Wiederholung der ‚Büchse der Pandora‘ vor geladenen Gästen wird zwischen 14. und 17. Juni stattfinden, wenn es gelingt, ihr die Mitwirkung aller jener Kräfte zu sichern, die an der ersten Vorstellung beteiligt waren und von denen manche sich zur Zeit außerhalb Wiens aufhalten. [...] Alle jene, die die Vorstellung, in der der Dichter wieder selbst auftreten wird, zu sehen wünschen, werden ersucht, bis zum 11. Juni dem Verlag der ‚Fackel‘ [...] bekanntzugeben, daß und zu welchem Preise sie (auf Namen lautende) Eintrittskarten zu beziehen wüschen [...]. Nach dem 11. Juni erfolgt dann eventuell die Einladung, bezw. die Billetausgabe.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 28] Wedekind hat auf den vorliegenden Brief von Tilly Newes dieses Datum 11.6.1905 notiert. u.
nun sagt mir Carl KrausTilly Newes in Wien wurde von Karl Kraus mündlich informiert; der Herausgeber der „Fackel“ hatte Wedekind bereits zu einer zweiten Vorstellung der von ihm veranstalteten Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ eingeladen, wie aus Wedekinds Reaktion auf die „Einladung“ hervorgeht: „Das ist ja ausgezeichnet“ [Wedekind an Karl Kraus, 5.6.1905]., dass tatsächlich eine stattfinden soll. den
12./VI.der 12.6.1905 (Montag), das zweite Schreibdatum [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 9].
Was mögen Sie wohl schon von mir denken? Ich war nämlich gräßlich erkältet u.
lag im Bett. „ErPaul Eger, der Geliebte oder Verlobte von Tilly Newes.“ schickte mir seinen Freund der Doktor
istnicht identifiziert. u. machte mir | täglich auch einen Besuch. Das war allerdings wunderhübsch,
hat die Erholung aber nicht gerade beschleunigt. Nun also Donnerstag ist’sder 15.6.1905; der Termin der zweiten Vorstellung der „Büchse der Pandora“ in Wien, der nun feststand (siehe oben).! Ich
freu’ mich sehr u. finde es sehr, sehr nett, dass ich Sie sobald wiedersehen
kann. Ich werde mich auch für Sie in dem Kleid
photographierenTilly Newes ließ sich dann, wie von Wedekind in seinem Brief an sie vom 4.6.1905 gewünscht (siehe oben), in dem Rollenkostüm fotografieren, das sie im 2. Akt der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ trug, allerdings erst einige Monate später. Das Foto ist überliefert; Bildunterschrift: „Tilly Newes als Lulu / Büchse der Pandora II. Wien 1905“ [Kutscher 2, vor S. 161]. | lassen, schon um Ihnen zu beweisen wie sehr symphatischSchreibversehen, statt: sympathisch. Sie
mir sind.
Wie lang sind Sie da?Wedekinds Tagebuch zufolge reiste er am 13.6.1905 von München ab („Abends Abfahrt nach Wien“), kam am 14.6.1905 in Wien an, traf seine Verlobte Berthe Marie Denk, besuchte mit Karl Kraus den Maler Carl Leopold Hollitzer, der das Porträt von Tilly Newes als Lulu im Pierrot-Kostüm für die Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ gemalt hat, das Wedekind bei dem Besuch besichtigte, hatte dann die Generalprobe für die zweite Vorstellung seiner Tragödie und war anschließend mit Berthe Marie Denk zusammen („Ankunft in Wien. Ich wohne bei Karl Kraus. Spazierfahrt mit Bertha Denk nach Kloster Neuburg. Besuch mit Kraus bei Kunstmaler Holitzer. Tilly Newes [ihr Name in hebräischen Buchstaben geschrieben] im Pierrotkostüm. Generalprobe. Wir nachtmahlen mit Bertha Denk im Volksgarten“), hatte am 15.6.1905 die zweite „Büchse der Pandora“-Vorstellung mit anschließendem Bankett („Berthe Denk weckt mich. Adele Sandrock hat sich von gestern auf heute verlobt und will nicht spielen. Albert Heine, Kraus und ich dinieren im Volksgarten. [...] Vorstellung. Ich spiele zum zweiten Mal Jack. Banket im Hotel Continental“) und reiste am 16.6.1905 nach München zurück („Besuch bei Bertha Denk. Wir diniren im Volksgarten. Im Café Museum treffe ich Kraus und Gustav Meyrinck. Kraus begleitet mich zur Bahn. Rückfahrt nach München“). Hoffentlich kann man ein paar
gemütliche Stunden zusammen verbringen. „Er“ dankt für die GrüßeWedekind hat Paul Eger in seinem Brief an Tilly Newes vom 4.6.1905 (siehe oben) Grüße bestellt. u. erwiedertSchreibversehen, statt: erwidert.
sie auf’s Herzlichste. Nun adieu lieber Wedekind, auf frohes Wiedersehn!
Ihre Tilly Newes