Lieber, lieber Frank.
Wissen Sie denn, welche Freude Sie mir gemacht
haben mit Ihrem lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Adele Sandrock, 7.2.1906.? Ich habe wieder mal so recht Ihr Herz erkanntAdele Sandrock hatte Wedekind am 6.2.1906 ihr Leid geklagt: „Diniere mit Adele Sandrock und tröste sie.“ [Tb] Sein nicht überlieferter Brief (siehe oben) dürfte bald darauf geschrieben worden sein und sie ebenfalls getröstet haben.!
Heiliger Gott, „gute Menschen“ sind doch so unsagbar wohlthuend, die Güte
ist doch das Herrlichste nach der Liebe! Frank. Liebster Freund bitte senden
Sie mir | die Privatadresse von WeinhöppelWedekinds Freund wohnte in Berlin W15, Nachodstraße 24, Gartenhaus (= Hinterhaus), 3. Stock [vgl. Hans Richard Weinhöppel an Wedekind, 8.10.1905], ausgewiesen als Kapellmeister und Komponist [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2428]., ich möchte mit ihm MusizierenDazu kam es wohl nicht. Adele Sandrock, die Hans Richard Weinhöppel nachweislich zuletzt am 28.12.1911 begegnet ist, wie Wedekind notiert hat: „mit Weinhöppel und Adele Sandrock bei Habel“ [Tb], war offenbar noch nicht darüber informiert, dass der Musiker Berlin verlassen würde, wie die überregionale Presse einige Tage später meldete: „Zum Nachfolger des verstorbenen Paul Haase als Gesanglehrer des Konservatorium in Köln ist Herr Richard Weinhöppel ernannt worden. Herr Weinhöppel, der gegen 40 Jahre alt ist, war [...] zuletzt am Sternschen Konservatorium in Berlin als Gesangspädagoge tätig. Er beherrscht auch im Gesange neben dem Deutschen das Italienische, Französische und Englische und wird neben dem Gesange auch Mimik und Aesthetik der Gebärden lehren.“ [Vom Kölner Konservatorium. In: Prager Tagblatt, Jg. 30, Nr. 44, 14.2.1906, Morgen-Ausgabe, S. 10].
Ich bin unendlich traurig gestimmt, in mir ist
Alles grau in grau, ich bin selbst besorgt für die Zukunft meiner Seele, die
hier jeden Tag schwächer wird. Schade daß ich Sie so wenig sehe, Sie
können einen geknickten Menschen so famos aufrichten. Was die
JournailleJournalisten, Presse (abwertend). – Adele Sandrock hatte in letzter Zeit allerhand mit der Presse zu tun, da in Pressenotizen behauptet worden ist, sie werde das Deutsche Theater in Berlin wieder verlassen und zurückkehren nach Wien zum Deutschen Volkstheater. Sie hat daraufhin eine öffentliche Erklärung abgegeben: „Adele Sandrock schreibt uns: ‚Mit Bezugnahme auf einige meine Person betreffenden Zeitungsnachrichten erlaube ich mir, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß ich mit Direktor Max Reinhardt einen fünfjährigen unkündbaren Vertrag habe und am Deutschen Theater bleiben werde.‘“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 50, 28.1.1906, Sonntags-Ausgabe, S. (2)] Ein Wiener Blatt unterstellte ihr daraufhin, sie selbst habe die Meldung ihrer angeblichen Rückkehr nach Wien initiiert: „Die Tragödin Frl. Adele Sandrock, vom Deutschen Theater in Berlin, dementiert in den dortigen Zeitungen die von ihr lancierte Nachricht von ihrem Engagement an das Deutsche Volkstheater in Wien.“ [Der Humorist. Zeitschrift für die Theater- und Kunstwelt, Jg. 26, Nr. 4, 1.2.1906, S. 3] schrieb, bei Gott so gleichgiltig | war mir noch nie was, ich habe
offen gestanden den Humbug nicht einmal gelesen, mir imponirt schon seit Jahren
keine Kritikhier die Besprechungen der Uraufführung von Hugo von Hofmannsthals Tragödie „Ödipus und die Sphinx“ am 2.2.1906 am Deutschen Theater in Berlin (Regie: Max Reinhardt), in der Adele Sandrock die Königin Antiope (des Laïos Mutter) spielte. Wedekind hat sie am 2.2.1906 auf der Bühne erlebt: „Premiere von Ödipus und die Sphinx“ [Tb]. Die Rolle war ihr erster Auftritt bei Max Reinhardt nach ihrer Übersiedlung im Herbst 1905 von Wien nach Berlin, wie die Presse angekündigt hat: „Die erste Rolle, die Adele Sandrock in ihrem Engagement am Deutschen Theater spielen wird, ist die der Königin Antiope in Hofmannsthals ‚Oedipus und die Sphinx‘.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 16, 11.1.1906, Morgen-Ausgabe, S. 7] Ihre darstellerische Leistung kam in den Besprechungen teils gar nicht zur Sprache [vgl. Monty Jacobs: Der junge Oedipus. In: Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 62, 3.2.1906, Abend-Ausgabe, S. (1-2)], teils wurde sie nur vordergründig gelobt, tatsächlich aber ihr Stil als nicht mehr zeitgemäß bekrittelt – „Am prächtigsten traf Fräulein Adele Sandrock als Königin Antiope einen groß gestimmten pathetischen Ton. Die Heroine von vorgestern. Aber hier am rechten Platze.“ [Ein neuer Oedipus. In: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 45, Nr. 29, 4.2.1906, 1. (Abend-)Ausgabe, Unterhaltungs-Beilage, S. (1)] –, teils wurde sie tatsächlich gelobt: „Imposant verkörperte Adele Sandrock [...] die hochragende blinde Königsmutter des Laïos.“ [dt.: Deutsches Theater. In: Vorwärts, Jg. 23, Nr. 29, 4.2.1906, 3. Beilage, S. (1)] „Adele Sandrock gab eine von Wort zu Wort sich steigernde, hinreißend schöne und verständnisvolle Szene als Königin Antiope in der Glanzszene des Dramas.“ [Robert Saudek: Hofmannsthal’s Oedipuspremière am Deutschen Theater zu Berlin. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 100, Nr. 61, 3.2.1906, Abend-Ausgabe, S. 1] Siegfried Jacobsohn meinte: „Wie gut, daß Reinhardt die Sandrock hat, die letzte deutsche Heroine“ [S. J.: Oedipus und die Sphinx. In: Die Schaubühne, Jg. 2, Nr. 6, 8.2.1906, S. 166], was ihr gar nicht gefallen hat, wie sie am 5.2.1906 an Hermann Bahr schrieb: „Die Kritiken sind die reinsten Nachrufe! Ich bin die ‚letzte Heroine‘ was sagst Du dazu?!“ [Ahlemann 1988, S. 279] mehr, wir wissen ja wie
die gemacht wird. Pfeif drauf.
Mir war immer die Hauptsache wie sich mein
Directoraktuell: Max Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271]. Adele Sandrocks Verhältnis zu ihm war äußerst problematisch, da sie unter der Vertragsklausel litt, „insbesondere ältere Frauenrollen zu spielen“ [Balk 1997, S. 84], und überhaupt kaum bei Rollenbesetzungen zum Zuge kam. zu meinen aufgesagten Worten verhält, der giebt mir armen Hund
schließlich Futter und Stroh. Wenn der knurrt so
wäre es vielleicht zum aufregen aber die Tintenfische ‒ pah.
Grüß Sie Gott liebster Frank, ich bin Ihnen gut
von ganzem Herzen!
In treuer Freundschaft
Ihre
Adele Sandrock.
Bitte Weinhöppel’s
Adresse.