Telegramm-Adresse:
„Zürcherzeitung, Zürich.“
Mitteilung
der REDACTION der
NEUEN ZÜRCHER-ZEITUNG
An Herrn
Fr. Wedekind
FlunternWedekind wohnte in der Pension von Marianne Ganz (geb. Döbeli) in der Gemeinde Fluntern bei Zürich [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich für 1887, Teil I, S. 109].
Zürich,
den 17 Juni 1887
Verehrtester
Herr
Ich will ohne Umschweife heraussagen, dass ich
micht in den Erwartungen mit denen ich Ihre „Mariane“ zur Hand nahm,
getäuscht gefunden habe. Es scheint mir, Ihr Talent habe sich da in eine Bahn
verirrt, in welche es nicht passt.
Legen Sie diesem Urtheil nicht mehr Bedeutung
bei, als ich selbst! So lange ich noch eine VerantwortlichkeitProf. Dr. jur. Gustav Vogt war von 1878 bis 1885 Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“ gewesen und schrieb weiterhin gelegentlich noch für das Feuilleton, das dem vorliegenden Brief zufolge dann demnächst Dr. phil. Walter Bissegger verantwortete, der seit 1885 in der Chefredaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“ war. trage, kann ich
nur nach eigenem Ermessen verfügen, aber ich bin mir sehr wohl bewusst, in
Sachen der ästhetischen Kritik kein Sachverständiger zu sein. Ich lasse mich
von Eindrücken leiten, die auf gar nichts als auf Unbefangenheit Anspruch
erheben. Von August an wird Herr Dr Bissegger das Feuilleton besorgen; haben
Sie bis dahin keine anderweitige VerwendungWedekind hat das Manuskript seiner Erzählung „Marianne. Eine Lebensgeschichte“ [KSA 5/I, S. 37-76; vgl. S. 734-747] nach der vorliegenden Absage der „Neuen Zürcher Zeitung“ durch Gustav Vogt unverzüglich einer weiteren Zeitung zum Abdruck angeboten, von der er durch Theodor Huber ebenfalls eine Absage erhielt [vgl. Thurgauer Zeitung an Wedekind, 20.6.1887]. für Ihr Manuscript gefunden, so
dürfen Sie es ihm anbieten. Meine jetzige Ablehnung wird nicht im Wege stehen.
Mit freundlichem Grusse
GVogt