Zürich 5.VIII 87.
Sehr geehrter HerrEmanuel Wackernagel in Basel (Biermannsgasse 39) war „Verleger der Basler Nachrichten“ [Adressbuch der Stadt Basel 1887, Teil I, S. 307], wie die „Neue Zürcher Zeitung“ ein freisinniges Blatt. Er hatte erst im Vorjahr „die Herausgabe, den Verlag und Druck“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 66, Nr. 67, 9.3.1886, 1. Blatt, S. (2)] der Zeitung übernommen und blieb bis zu seinem Tod „der Besitzer und Verleger der ‚Basler Nachrichten‘“, die „zum führenden Blatte der radikal-demokratischen Partei geworden war“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 123, Nr. 55, 24.2.1902, 1. Abendblatt, S. (1)].!
Gestatten Sie mir die bescheidene Anfrage, ob Sie für
das in Ihrem werthen Verlag erscheinende Blatt, die „B. N.“,
nicht vielleicht dauernde Beschäftigung für einem strebsamen jungen Mann
zu Theil werden läßt, der sich bei umfassender akademischer Bildung bereits
vielseitig literarisch bethätigt hat. Meine Ansprüche wären fürs erste natürlich
gering. Als Proben meines Könnens gesta empfangen Sie mit gleicher Post
zwei Feuilleton-ArtikelZeitungsausschnitte aus dem Feuilleton der „Neuen Zürcher Zeitung“, die mit Franklin Wedekind gezeichneten Essays „Der Witz und seine Sippe. Betrachtungen“ [KSA 5/II, S. 82-93], erschienen vom 4. bis 6.5.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 123, 4.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 124, 5.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 125, 6.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2)], und „Zirkusgedanken“ [KSA 5/II, S. 94-106], erschienen am 29. und 30.7.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 209, 29.7.1887, 1. Blatt, S. (1-2), 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 210, 30.7.1887, S. (1-2)]. der N. Z. Ztg., die ich Ihrer gefälligen
Einsicht empfehlen möchte. Im Fall Sollten Sie sich des weiteren über
meine Person zu erkundigen wünschen, so erlaubt mir Herr Emil Frey, RedakteurEmil Frey, Bruder von Wedekinds ehemaligem Deutschlehrer Adolf Frey an der Kantonsschule in Aarau, war „Wedekinds Kontaktperson in der Redaktion“ [KSA 1/II, S. 1801] der „Neuen Zürcher Zeitung“, wo er seit 1876 als Redakteur tätig und zuletzt bis zum Jahresende 1887 in der Chefredaktion war, wie die Zeitung mitteilte: „An unsere Leser. Die vorliegende Nummer ist die letzte, die Herr Emil Frey unterzeichnet. Er verläßt mit Neujahr die Redaktion dieses Blattes, um seine Kräfte mehr als bisher der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich zuzuwenden, deren Sekretariat er seit einer Reihe von Jahren geführt hat. [...] Zum Glücke wird unser Freund aber in engem Zusammenhange mit der Neuen Zürcher Zeitung bleiben“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 364, 31.12.1887, 2. Blatt, S. (1)].
der N. Z. Zt. mit dem ich seit bald einem Jahr in stetem Verkehr
stehe, | Sie an ihn zu verweisen.
Mein Bildungsgang ist folgender: Nachdem ich in Aarau das
Gymnasium absolvirtWedekind hat am 10.4.1884 bei der öffentlichen Zeugnisübergabe an der Kantonsschule Aarau sein am 8.4.1884 ausgestelltes Matura-Zeugnis erhalten., bezog ich die Münchner Universität, wo ich mich vier
SemesterWedekind, der auf Wunsch seines Vaters in München Jura studierte, ist im Verzeichnis der Studierenden in vier Semestern verzeichnet, im Wintersemester 1884/85 (Wohnung: Türkenstraße 30, 1. Stock) [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1884/85, S. 78], im Sommersemester 1885 (Wohnung nun: Schellingstraße 27, 3. Stock) [vgl. Amtliches Verzeichnis [...] Sommer-Semester 1885, S. 80], im Wintersemester 1885/86 [vgl. Amtliches Verzeichnis [...] Winter-Semester 1885/86, S. 84] sowie im Nachtrag im Sommersemester 1886 [vgl. Amtliches Verzeichnis [...] Sommer-Semester 1886, S. 92]. Außerdem: „Eifriger Besuch von Museen, Theatern und Konzerten“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 298] in München. hindurch mit philosophischen Studien aller Art beschäftigte. Auf
Grund Dank derselben glaub ich mir
unter anderem auch ein durch solide Principien begründetes, durch die
mannigfachste Erfahrung gerechtfertigtes, gesundes Urtheil über Kunst, Musik
Theater und Litteratur im Allgemeinen beimessen zu dürfen. Von München kam ich
hierher, nach Zürich, und halte mich hier ein seit einem Jahr, theils
mit Studien an der UniversitätWedekind war erst im Sommersemester 1888 als Jurastudent an der Universität Zürich immatrikuliert (Matrikelnummer: 8245), Weggang mit Zeugnis am 29.11.1888 [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich 1833-1924; https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/23375.htm], lebte aber spätestens seit Ende 1886 in Zürich, dem vorliegenden Brief zufolge seit Sommer 1886., theils literarisch beschäftigt auf.
Mit der Versicherung daß ich selbstverständlich mein bestes
versuchen würde, um Ihren eventuellen Erwartungen und Anforderungen genüge zu
leisten zeichnet mit vollkommenster Hochachtung
Ihr ergebenster
Fr Wedekind.
Plattenstraße 35 Zürich.