Salzburg 23./XI.
Lieber Herr Wedekind!
Bitte zu entschuldigen, wenn ich schon so lange nichts
geschrieben habe! Hier in Salzburg ist wirklich schon jede UnannehmlichkeitVon seinen schulischen Vergehen und den angedrohten Konsequenzen berichtete Friedrich Strindberg in seinem Brief vom Beginn des Monats [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1. bis 4.11.1913]. beiseitigtwiederkehrendes Schreibversehen bei Friedrich Strindberg, statt: beseitigt.! Gott sei Dank!
Vor wenigen Tagen erhielt ich einen BriefDer Brief Kerstin Strindbergs an ihren Halbbruder ist nicht überliefert. meiner lieben
Schwester, die mir mitteilte, daß sie diese Woche Herrn Wedekind besuchtWedekind hat vermutlich aufgrund der Warnungen der Großmutter [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913] von einer bereits geplanten Einladung Kerstin Strindbergs zu einem Besuch bei ihm Abstand genommen. Kerstin Strindberg meldete sich daraufhin am 24.11.1913 telefonisch bei Wedekind [vgl. Kerstin Strindberg an Wedekind, 24.11.1913].. Ich
freue mich darüber sehr! Meine gute Großmama schrieb mirDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert., daß zu Weihnachten
ich den ersten Teil (Samstag/Sonntag o/)/ und s/b/is ich Herrn
Wedekind besuchen darf zu ihr kommen darfMarie Uhl wohnte in Mondsee, wo Friedrich Strindberg häufiger seine Ferien verbrachte., teils
um meine KleiderFriedrich Strindberg trug offenbar eine Schuluniform, mit der er auch zur Weihnachtseinladung Wedekinds am 23.12.1913 nach München reiste: „Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab Er kommt in Uniform. Bei Isidor Bach kaufe ich ihm Zivilkleider.“ [Tb] Marie Uhl hatte Wedekind gebeten, ihren Enkel in München neu einzukleiden [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 20.12.1913]. dafür zu holen, teils um guten Rat und Ermahnung auf die Reise
zu empfangen. Meine Ferien beginnen eben Samstag (21)Irrtum Friedrich Strindbergs, der Samstag vor Weihnachten war der 20.12.1913. und dauern bis nach
Neujahr (3.) |
Der Fuß meiner Großmama, der (sich) in folge eines Sturzes anschwellte geht seiner Heilung zu!
„Simson“Der Erstdruck „Simson oder Scham und Eifersucht. Dramatisches Gedicht in drei Akten von Frank Wedekind“ [KSA 7/II, S. 1274] im Verlag von Georg Müller lag vordatiert auf 1914 bereits im Spätsommer als Neuerscheinung vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 80, Nr. 215, 16.9.1913, S. 9278]. sah ich bei Höllriegel, der größten Buchhandlung
Salzburgs ausgestellt. Auch erinnerte ich mich einer Mitteilung meiner
Großmama, die mir erzählte, einstens, da sie Herrn Wedekind nur nach dem
literarischen Namen kannte, sei ein großer VerehrerIdentität nicht ermittelt. von gekommen, der
berichtete meiner erstaunten Großmama, daß in Herrn Wedekind ein 2. GoetheDie Punkte über dem o wurden von Friedrich Strindberg in Sofortkorrektur gestrichen.
erstanden sei! Und ich mit meinem geringen Urteil spreche dies zwar nicht, doch
mir sundSchreibversehen, statt: sind. Herr Wedekind von allen nach Goetheschen der g/G/rößte, den ich
las! Und dies sagenSchreibversehen, statt: dies zu sagen. wird mir schwer, doch ich empfinde es morgends in der Frühe
und abends da ich mich niederlege!
Wie freue ich mich auf Weihnachten! Haben Herr Wedekind meinSchreibversehen, statt: meine.
Schwester schon gut kennen gelernt? Ich empfinde für sie | viel mehr als früher,
denn Kerstin ist mir erst heuer im Sommer nähergetreten. Und was immer mir
freundlich entgegenkommt, seins Lehrer oder wer anderes, den habe ich lieb!
Ich bereite trotz meiner geringen Lebenserfahrung mich mit einem kleinen Stücklein für Herrn WedekindFriedrich Strindbergs Stück "Triton" ist nicht überliefert. Er las daraus am 26.12.1913 seinem Vater vor: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. vor,
um zu zeigen, daß was ich kann mit dem frohesten Herzen ich niederschrieb um
das Wohlwollen von Herrn Wedekind mir zu erringen! Der Inhalt ist eine ganz unmythologische
Begebenheit, die meiner Phantasie entschlüpfte, deutscher Studenten- und
PhilisterhumorPhilister war die studentische Bezeichnung für ‚Spießbürger‘. in griechisch-klassisches Gewand gebracht. Die einzelnen
Personen sprechen in ihrem Vers der ihnen zu Gesicht steht, Dystiche, Jamben,
Knittelverse bunt durcheinander,
Prosaeinwürfe wie es paßt, grob körnig mit Dialekt! Aber „hochdeutschen“
DialektGemeint ist hier vermutlich die Verwendung von Umgangssprache in Abgrenzung zur Mundart..
Wie geht es immer Herrn Wedekind? |
Bitte meine Rapplereivon ‚Rappel‘ = Verrücktheit. von den früheren BriefenFriedrich Strindberg bezieht sich hier vermutlich auf seine Briefe vom Anfang des Monats [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1. bis 4.11.1913]. nicht (auch) schlecht aufzufassen! Ich hab
wirklich in den früheren Briefen ein bischen gesponnen. Ist aber zu meinem
ureigensten Vorteil schon vorbei!!
Froh und lustig bin ich immer und der „Triton“Friedrich Strindberg benannte sein Stück vermutlich nach dem Meeresgott der griechischen Mythologie mit menschlichem Oberkörper und einem Fischschwanz als Unterkörper. so werde ich das Stücklein ohne Fadenwohl: ohne Handlungsfaden. nennen,
ahtmet lustige Lebenslust; allerdings ist der Schluß etwas tragisch! Ich weiß
ihn aber selbst noch nicht, nur dunkle Konturen sind es die ich allmählich ausziehe.
Viele Grüße und mit der nochmaligen Bitte mir wegen meiner
früheren Briefe nicht bös zu sein
in Liebe
Fritz.