Hochgeehrte gnädige Fraumöglicherweise die Lautenliedsängerin, Komponistin und Schriftstellerin Elsa Laura von Wolzogen (geb. Seemann von Mangern) in Berlin (Burggrafenstraße 1) [vgl. Adreßbuch für Berlin 1902, Teil I, S. 1913], die dritte Ehefrau von Ernst von Wolzogen, Direktor des Bunten Theaters (Überbrettl), mit der Wedekind bald gemeinsam auftreten sollte – bei seinem Gastspiel vom 14. bis 26.5.1902 an Ernst von Wolzogens Buntem Theater (Überbrettl) in Berlin [vgl. Wedekind an Max Halbe, 7.5.1902], von dem er zunächst annahm, es werde bereits am 9.5.1902 beginnen [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.5.1902].!
Darf ich Sie bitten, es mir nicht als
Unzuverlässigkeit anzurechnen, wenn ich so lange brauchteDas Lied „Die neue Communion“ taucht auf Repertoirelisten auf, die Wedekind zur Vorbereitung der Tournee der Elf Scharfrichter vom 29.7.1901 bis 4.8.1901 dienten [vgl. KSA 1/IV, S. 1024f.], die mit dem Gastspiel am Wilhelma-Theater in Cannstadt bei Stuttgart ihren Auftakt (20./21.7.1901) nahm und mit dem Gastspiel im Spielhaus der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (26. bis 30.7.1901) ihren Höhepunkt hatte. Ernst von Wolzogens Buntes Theater (Überbrettl) gastierte zwar ab dem 4.7.1901 ebenfalls im Wilhelma-Theater [vgl. Cannstatter Zeitung, Jg. 61, Nr. 145, 24.6.1901, S. 3] und vom 9. bis 11.7.1901 im Spielhaus der Künstlerkolonie [vgl. Darmstädter Tagblatt, Jg. 164, Nr. 151, 1.7.1901, S. 3910], aber Wedekind dürfte Elsa Laura von Wolzogen da kaum begegnet sein, da das Bunte Theater (Überbrettl) bereits ab dem 18.7.1901 in Bonn gastierte; wann und bei welcher Gelegenheit er ihr sein Lied versprach, ist unklar., um Ihnen beiliegende
Zeilendie als Lied ausgewiesene Gedichtbeilage (siehe unten). zu senden; aber die Feder streubtSchreibversehen, statt: sträubt. sich gegen manches, was der Mund
auszusprechenWedekind hat den nun aufgeschriebenen Liedtext „Die neue Communion“ (siehe unten) bei Auftritten der Elf Scharfrichter während ihrer Tournee vom 29.7.1901 bis 3.8.1901 gesungen (siehe oben), also mündlich vorgetragen. | wagt. Um so höher kann ich mich dafür auch durch Ihre liebenswürdige
BitteHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Elsa Laura von Wolzogen an Wedekind, 1.4.1902. Die Künstlerin dürfte Wedekind gebeten haben, ihr das Lied „Die neue Communion“ (siehe unten) wie versprochen zu schicken. geehrt betrachten.
Erlauben Sie mir, diese Gelegenheit wahrzunehmen,
um Ihnen für so manchen Genuß zu danken, den Sie mir als Dichterin und als
Künstlerin bereitet haben. Indem ich Sie bitte, den Ausdruck meiner
vorzüglichsten Hochschätzung entgegenzunehmen
Ihr ergebenster
Frank Wedekind.
München
2. April 1902.
[Beilage:]
[2 Zeilen Noten]
Die
neue CommunionDas nach dem 1891 entlegen abgedruckten Gedicht „Die neue Communion“ [KSA 1/I, S. 312-314; vgl. KSA 1/II, S. 2123-2126] entstandene Lied „Die neue Communion“ [KSA 1/III, S. 121-122; vgl. KSA 1/IV, S. 1017-1028] erscheint in der Beilage zum vorliegenden Brief erstmals unter diesem Titel [vgl. KSA 1/IV, S. 1017]..
Lischen kletterte flink hinauf
Bis in die höchsten Äste,
Fing in der Schürze die Äpfel auf,
Ihrer Mutter zum Feste.
Ich lag unten verliebt und faul
Auf dem Rücken im Grase;
Mancher Apfel fiel mir ins Maul,
Mancher mir auf die Nase. |
Jetzt stand Lischen auf starkem Ast,
Schelmisch sah sie hernieder;
Ihres Leibes liebliche Last
Wiegte sich hin und wieder.
Innig umschlungen hielten sich
Splitternackt ihre Füße,
Öffneten sich und befühlten sich,
Winkten mir tausend Grüße.
Durch das Röckchen sandte der Tag
Seine goldenen Strahlen,
Was darunter geborgen lag
Farbenprächtig zu malen.
Schimmernd rings um die weiße Haut
Wob sich gedämpfte Helle;
Welcher Meister hätt’ je gebaut
Prächtiger eine Capelle! |
Das Gewölbe so luftig leicht,
Schlanke, stolze Pilaster,
Unter Flammenküssen erweicht
Lebender Alabaster;
Voller strömte das Licht herein,
Bunter bei jedem Schritte;
Ach und ein flimmernder Heiligenschein
Floß um des Hauses Mitte.
Kindlich faltet’ ich da die Händ’,
Betete fromm und brünstig:
Du mein heiligstes Sacrament,
Werde dem Sünder günstig.
Laß michs küssen in seinem Schrein,
Lieblichster Himmelsbote;
Laß mich nippen an deinem Wein,
Naschen von deinem Brote. |
Sieh und am nämlichen Abend schon
Tief in die Kissen gebettet
Ward in andächtiger Communion
Meine Seele gerettet.