Lenzburg 12. Febr. 1904.
Mein lieber Frank,
ich habe gewaltig Moralischen ob meiner MoritatWedekinds jüngste Schwester hat ihm am selben Tag als Beilage zu einem Brief [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 12.2.1904] eine Glosse in Versen über eine kleine Skandalgeschichte in Lenzburg geschickt, die sie für einen möglichen Abdruck im „Simplicissimus“ geschrieben hat; im vorliegenden Folgebrief hat sie Bedenken, ihren Text der Münchner Wochenschrift so anzubieten (das sollte ihr Bruder in München übernehmen) und zieht ihn zurück.. So
darf es nirgends erscheinen. Ich dürfte es schon der Sofie nicht antun. Sie hat
alles mitgemacht und kennt alle die Aussprüche vom Alten; zwar nur durch mich,
denn der Paulus schilderte mir die Bettscene in seinem Abschiedsbrief. Und dann
möcht ich es doch auch eigentlich dem Paulus nicht zu leide tun und trotzdem er
dies Quartal nicht | mehr nach Hause geht, könnte er doch später noch übel
drunter leiden müssen. Es war mir so merkwürdig, wie ich gestern Abend die
ganze Geschichte nur so in einem Zuge hinschmieren konnte, da glaubte ich denn auch, es müsse so
schnell wie möglich unter die Presse. Wenn es erscheint, müssen auf jeden Fall
ganz ausländische Ratsnamen hinein, damit die Nichtbeteiligten niemals auf die
Idee kommen, das sei hier passiert. Die Leute, die es mit angesehen haben von
unten: Mama, Fr. Dr. Sommerhalder und ihre Tochter | Augusta haben offenbar bis jetzt geschwiegen, denn
niemand spricht davon in der Stadt und die beiden Buben in der Matte, wurden
offenbar in ihrer Meinung wieder irre, als sie ihn so tapfer davon gehen sahen.
Mama meint übrigens, er hätte sich wegen seinen Schulden geschiessen
wollen und ich rühre wohlweislich nicht an dieser guten Meinung. Sie sagte: „Daß
mir der Mensch nicht mehr ins Haus kommt, ich will keinen hierhaben, der sich
erschießt, ich hab’ genug an meinen eigenen Jungens.“ |
So ist nun für alle Teile gut gesorgt. Alle sind
jetzt zufrieden gestellt und es thäte mir leid wenn der Frieden durch diesen
meinen etwas rohen Streich nun wieder gestört würde.
Schick mir also meine Geschichte nur so wieder,
obschon es zwar den Alten gehören würde, ihm für seine Rohheit und ihr für ihre
Gemeinheit. Aber es ist besser man läßt es jetzt ruhn.
Mit vielen herzlichen Grüßen Dein altes
Mati.