Sehr verehrter Herr JeßnerLeopold Jessner in Hamburg (Hansastraße 78) war Oberregisseur am Hamburger Thalia-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1911, S. 476].!
Sie haben schon so viel für mich getan daß Ihnen zu
tun fast nichts mehr übrig bleibt. Aber ich hoffe nun endlich auch
einmal etwas für Sie tun zu können. Ich sehne mich nach einer solchen
Gelegenheit. Mit tiefem Bedauern sah ich wie Ihnen all | Ihre Arbeit und
deren Erfolg vom Berliner Tageblatt verekeltFritz Engel, Feuilleton-Redakteur der „Berliner Tageblatt“, hat ein Gastspiel eines am Thalia-Theater in Hamburg inszenierten Stücks am Berliner Lessingtheater süffisant ablehnend besprochen; der Auftakt des Verrisses lautet: „Das gute Ensemble des Hamburger Thaliatheaters spielt jetzt in unserem Lessingtheater. Es bringt ein Stück, das in Hamburg sehr gefallen hat und ‚Sommerspuk‘ heißt. Der Autor ist Kurt Küchler, der die vier Akte aus seinem süffigen Studentenroman gleichen Namens [...] mit Hilfe der Dramatisiermaschine zusammengeschnitten hat. Seine Komödie läuft nun hinter ‚Alt-Heidelberg‘ und dessen Nachahmungen hinterdrein und ruft: ‚Das kann ich auch!‘ Aber ‚Sommerspuk‘ hat ein besonderes Anrecht daraus, lebensfremd und verlogen genannt zu werden. In falschen Sentimentalitäten, in ‚poetischen‘ Gedunsenheiten, in kompletter Unkenntnis studentischer Zustände leistet es Unerreichtes.“ [F.E.: Hamburger Thalia. Gastspiel im Lessingtheater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 279, 3.6.1911, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Das Erfolgsstück hatte am 6.10.1910 am Thalia-Theater (Direktion: Max Bachur) in Hamburg Premiere gehabt (von der Presse vor Ort wohlwollend besprochen) – unter der Regie von Paul Flashar (wie Leopold Jessner Oberregisseur), was Wedekind wohl nicht registriert hat, da im „Berliner Tageblatt“ der Regisseur nicht genannt ist. wurde. Mir meinerseits ist Hamburg
eine mindestens ebensoliebe Stadt wie Berlin, so daß für mich die Berliner Schimpfereien
durch die Hamburger ernste Anerkennung reichlich aufgehoben warSchreibversehen, statt: waren..
Wenn
ich Ihnen beiliegend die neue AusgabeWedekind schickte folgende neu bearbeitete Ausgabe (die 3. Auflage): „König Nicolo oder So ist das Leben. Schauspiel in drei Aufzügen und neun Bildern mit einem Prolog von Frank Wedekind. Vom Autor hergestelltes vollständiges Regiebuch. 1911. München und Leipzig verlegt bei Georg Müller.“ [KSA 4, S. 580] von So ist d. L. | sende, so tue
ich das mit größter Ehrerbietung vor Ihrer eigenen InscenierungLeopold Jessners Inszenierung von „So ist das Leben“ hatte als Benefiz-Vorstellung für Centa Bré am 9.3.1911 am Thalia-Theater in Hamburg Premiere [vgl. General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Jg. 24, Nr. 58, 9.3.1911, S. 2, 15]., deren
Ernst und Tiefe mir aus sämmlichen BesprechungenIn den ersten Besprechungen der Hamburger Premiere von „So ist das Leben“ (siehe oben) heißt es: „Das Thalia-Theater brachte gestern unter Leopold Jeßners Regie Frank Wedekinds Schauspiel So ist das Leben zu einer Darstellung, die in den Zuschauern eine Ahnung von gewaltigen Seelendramen eines unter der Last seines Loses zusammenbrechenden Poeten erweckte“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 16, Nr. 117, 10.3.1911, Morgen-Ausgabe, S. (2)]; andere meinten: „Man spielte gestern auf der Bühne des Thalia-Theaters die Künstlertragödie Frank Wedekinds – [...]. Jeßners Regie bewältigte die technischen Schwierigkeiten des Schauplatzwechsels mit souveräner Überlegenheit“ [A.Z. (Alexander Zinn): Thalia-Theater. So ist das das Leben. Von Frank Wedekind. In: General-Anzeiger für Hamburg-Altona, Jg. 24, Nr. 60, 11.3.1911, S. 2], „Herr Jeßner hatte das Stück wundervoll inszeniert“ [C.M.R. (Karl Müller-Rastatt): Thalia-Theater. In: Hamburgischen Correspondent, Jg. 181, Nr. 127, 10.3.1911, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (1)] als nicht zu überbieten
erschienen. Vor allem aber beglückwünsche ich Sie zu dem warmherzigen Ton, mit
dem Ihre eigenen Künstler mir
gegenüber von Ihrer Arbeit und Ihrem Erfolg sprechen. Ich wünsche Ihnen von
Herzen, daß | Ihnen der Ertrag und die Anerkennung dieser Arbeit recht
bald für alle Welt sichtbar zu Theil werden mögen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
München 4.6.11.