Sehr verehrter Herr JeßnerLeopold Jessner in Hamburg (Rentzelstraße 2) war Regisseur am Hamburger Thalia-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 400].,
ich lese eben in der Zeitung daß Sie von Ihrer TournéeDie lange geplante „Erdgeist“-Tournee des Hamburger Regisseurs – Wedekind notierte am 22.11.1906: „Leopold Jeßner bespricht mit mir seine Erdgeisttournee“ [Tb] – war realisiert worden, mit einem frei zusammengestelltem Ensemble von „zumeist Mitgliedern des Thaliatheaters durch 11 Städte“ [Seehaus 1973, S. 133] (oder mehr), darunter Görlitz (8.2.1908), Stettin (10.2.1908), Magdeburg (11.2.1908), Kassel (17.2.1908), Gießen (22.2.1908), Jena (20.2.1908), Köln (24.2.1908), Lübeck (26.2.1908), Kiel (28.8.1908). Die Presse berichtete etwa: „Ein ,Erdgeist‘-Ensemble hat sich unter der Oberleitung des Regisseurs vom Hamburger Thalia-Theater, Herrn Leopold Jessner, auf den Weg gemacht, um für Frank Wedekinds Ideen in weiteren Kreisen Bahn zu brechen. Es [...] wird diese in Hof, Erfurt, Kassel usw. fortsetzen. Emanuel Stockhausen und Emmy Schroth sind als Dr. Schön und Lulu seine starken Stützen für die ‚Erdgeist‘- Aufführungen.“ [Hamburger Fremdenblatt, Jg. 80, Nr. 37, 13.2.1908, 2. Beilage, S. 9] „Die unter Jeßners Leitung stehende ‚Erdgeist‘-Tournee, die in den nächsten drei Wochen das Wedekindsche Werk in mehreren großen Städten als Novität bringt, hat bereits in Stettin und Magdeburg mit überaus glänzendem Erfolg eingesetzt. Jeßner als Regisseur, Stockhausen als Dr. Schön, Emmy Schroth als Lulu wurden vielfach ausgezeichnet.“ [Hamburgischer Correspondent, Jg. 178, Nr. 81, 14.2.1908, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (1)] „Das ‚Erdgeist‘-Ensemble, das unter Leopold Jessners Leitung überall starke Erfolge erzielt und auch für Emmy Schroth (Lulu) und Stockhausen (Dr. Schön) stürmische Anerkennung bei Publikum und Presse bringt, spielt in der kommenden Woche in Köln a. Rh., in Lübeck (26. Februar) und beschließt am 28. und 29. Februar in Kiel die interessante Tournee.“ [Hamburgischer Correspondent, Jg. 178, Nr. 95, 21.2.1908, Abend-Ausgabe, Beilage, S. 3] „Das unter der Leitung des Oberregisseurs Leopold Jessner vom Hamburger Thalia-Theater stehende ‚Erdgeist-Ensemble‘ ist nach einer an künstlerischen Ehren reichen vierwöchentlichen Gastspielreise wieder nach Berlin zurückgekehrt. Die Presse von Köln a. Rh., Magdeburg, Kiel usw. waren voll überschwänglichen Lobes für das treffliche Zusammenspiel.“ [Saale-Zeitung, Jg. 42, Nr. 115, 8.3.1908, Beiblatt, S. (1)], wie
ich weiß mit vielen Ehren bedeckt zurückgekommen sind. Mein Stück hat
ja nicht überall Glück gehabt. Überall wurde aber Ihre vorzügliche Aufführung
rückhaltlos anerkannt. Dafür sage | ich Ihnen meinen herzlichen Dank und
wünsche Ihnen nur, daß Ihnen kein geschäftlicher Mißerfolg die Freude an Ihren
künstlerischen Erfolgen verbittern möge.
Darf ich Sie nun aber auch bitten, Fräulein SchrothEmmy Schroth, freie „Schauspielerin im Fache der I. Naiven in Berlin, New-York und Hamburg. Seit 1903 Gattin des Großkaufmanns Emil Ronsheim, Hamburg, Mundsburgerdamm 26.“ [Neuer Theater-Almanach 1908, S. 207] Sie spielte bei der „Erdgeist“-Tournee (siehe oben) die Rolle der Lulu. und
Herrn StockhausenEmanuel Stockhausen war freier Schauspieler mit Domizil in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 766]. Er spielte bei der „Erdgeist“-Tournee (siehe oben) die Rolle des Dr. Schön. für ihre künstlerischen Schöpfungen, die überall so großen
Beifall | fanden, meinen aufrichtigen und herzlichen Dank auszusprechen.
Mit außerordentlicher Freude las ich, wie sehr Sie in JenaLeopold Jessner gastierte mit seinem „Erdgeist“-Ensemble im Zuge seiner Tournee (siehe oben) am 20.2.1908 einmalig in Jena, wie angezeigt war: „Stadttheater Jena. Direktion: Wilhelm Berstl. Donnerstag, den 20. Februar. [...] Erhöhte Preise. [...] Einmal. Gastsp. des ‚Erdgeist‘-Ensemble unter der künstlerischen Leitung von Leopold Jessner, Regisseur am Thalia-Theater in Hamburg. Prolog gespr. v. Emanuel Stockhausen. Darauf: Erdgeist. Tragödie in 4 Akten von Frank Wedekind.“ [Jenaische Zeitung, Jg. 235, Nr. 43, 20.2.1908, 1. Blatt, S. (4)]
das Gefallen Professor HäckelsProf. Dr. med. et phil. Ernst Haeckel in Jena (Berggasse 7), ausgewiesen als Exzellenz, Wirklicher Geheimer Rat, Universitätsprofessor und Direktor des zoologischen Instituts [vgl. Adressbuch der Residenz- und Universitätsstadt Jena 1908, Teil A, S. 31], hatte die „Erdgeist“-Vorstellung am 20.2.1908 in Jena (siehe oben) besucht, wie die Presse über den berühmten Naturforscher berichtete: „In Jena, wo die Aufführung unter ganz besonderem Enthusiasmus des dichtbesetzten Hauses stattfand, wohnte, eine im Theater seltene Erscheinung, der greise Professor Häckel, der Vorstellung bei und applaudierte mit den jüngsten um die Wette.“ [Saale-Zeitung, Jg. 42, Nr. 115, 8.3.1908, Beiblatt, S. (1)] erregten. Ich bin offen gesagt sehr stolz darauf.
Vielleicht kneipen wir bald wieder einmal einen Abend in
Berlin zusammen.
Mit besten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind
9.3.8.