W. R.
Verehrter Herr Wedekind,
Ihre gewaltigen drei Scenendie Buchausgabe von „Totentanz. Drei Szenen“ (1905) im Albert Langen Verlag [vgl. KSA 6, S. 523]. Wedekind hatte Walther Rathenau am 7.10.1905 abends ein Exemplar mit einer Widmung überreicht [vgl. Wedekind an Walther Rathenau, 7.10.1905]. habe ich mit
Bewunderung gelesen.
Ihre Auffassung ist organisch und daher Wahrheit. Für mich
bleibt (in der Spezialfrage der „DirnenverachtungIn „Totentanz“ äußert der Zuhälter Casti Piani: „Dirne hin, Dirne her! Der Name Dirne bleibt der Mutter eines unehelichen Kindes so wenig erspart wie einem Mädchen in diesem Hause!“ [KSA 6, S. 110]“) folgende Kette wahr:
I Die Eifersucht des Mannes verlangt Monogamie des Weibes.
II Da alle Congregationeneigentlich: Ordensgemeinschaften., | die sich einem Gesetz
unterwerfen, die Ungebundenen hassen,
III so rächt das monogame Weib an der Dirne die männliche
Eifersucht,
IV während der Mann unthätig zusieht und im Interesse seiner
eifersüchtigen Wünsche dem gebundenen Weibe die Prämie gestattet.
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Grundproblem bleibt mir somit die männliche Eifersucht. |
Ich halte sie für die säculare Erinnerung der Rasse an kampfentrissene Weiber;
sie ist daher Wuth.
Die Eifersucht der Weiber ist dagegen, wie mir scheint, kein
Instinkt, sondern accidentelleakzidentiell = zufällig, unwesentlich. Reaction: Entbehrung und Missgunst. Daher ist
sie nicht tragisch.
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Ausser allem Zusammenhang füge ich ein Heft der
ZukunftBeilage war das aktuelle Heft der „Zukunft“ mit Walther Rathenaus unter Pseudonym veröffentlichtem neuen Aufsatz [vgl. Ernst Reinhart: Von neuzeitlicher Malkunst. Zur Kritik der Moderne. In: Die Zukunft, Jg. 14, Nr. 1, 7.10.1905, S. 11-25]. bei, das meinen letzten Aufsatz enthält. |
Auf baldiges Wiedersehen!
Ihr sehr ergebener
W Rathenau
– 9.10.05 –