Lenzburg,
VIII. 1903.
Heute nun, mein lieber Walther,
Um Dir alles zu beschreiben,
Was wir hier in Lenzburg treiben,
Greif ich nach dem Federhalter. |
Zwei und zwanzig Jahre schon
Sind, seitdem ich diese Zeilenvgl. Wedekinds Briefgedicht an Walter Laué vom 11.-28.2.1881. Die jeweils erste Strophe der beiden Briefgedichte unterscheiden sich voneinander nur durch den Auftakt (Höre – Heute) im ersten Vers und den Ort (Aarau – Lenzburg) im dritten Vers.
Hatte Grund Dir mitzutheilen,
Ueber uns hinweg geflohn,
Und ich hab in diesen Jahren
Neues nicht sehr viel erfahren,
Weil ich – ach, die Zeit verfloß –
Deinen Unterricht genoß.
Hier nun in der Einsamkeit
Fand ich auf vergilbten Blättern
Reimebildend Deine Lettern
Zu Gedichten aufgereihtIn Wedekinds Nachlass befinden sich im sogenannten „Steinbaukasten“ [Aargauer Kantonsbibliothek. Wedekind-Archiv C, Schachtel 21, Nr. 8] neben Dichtungen Wedekinds auch Gedichte des einstigen Schul- und Studienfreundes Walter Laué..
Was Augustus
zum Exempel
Sagt’ zum Abschied
von dem Krempel:
Fi – erklang sein Seufzer da –
Vita est comoedia(lat.) Das Leben ist eine Komödie. Redewendung in Anlehnung an letzte Worte, die Kaiser Augustus vor seinem Tod gesprochen haben soll [vgl. Sueton: Divus Augustus 99, 1]..
Verse über solche Themen
Durft ich aus der Kiste
nehmen,
Darin sich von Deiner Hand
Manch Gedicht erhalten fand.
Was Du aber nun von meiner
Dichtung über Martha
Fleiner
Zu erhaltenDie Anfrage hatte Walter Laué in seinem Brief an Wedekind vom 29.7.1903 gestellt. wolltest
hoffen,
Davon hab ich nichts getroffen.
Freilich glaub ich auch mit nichten
Daß ich Martha anzudichten
Jemals wirklich mich erfrechte,
Weil beim weiblichen Geschlechte |
Ich mich nie mehr so vernarrte,
Wo ich noch herum mich schlug,
Wie in diese süße MartheÜber Martha Fleiner, für die auch Wedekind 1881 schwärmte [vgl. auch die Briefe Wedekind an Schibler, 3.9.1881 und Wedekind an Schibler, 9.9.1881, sind keine Gedichte ermittelt.,
Als sie kurze Kleider trug.
Froh las ich Dein Manifest,
Welches Du ergehen läßt,
Um das Denkmal von
Beethoven
Für das Rheinland anzukofen(mitteldeutscher Dialekt): anzukaufen. Walter Laué hatte seinen Aufruf zum Ankauf von Max Klingers Beethoven-Skulptur (1902) dem letzten Brief an Wedekind beigelegt [vgl. Laué an Wedekind, 29.7.1903]. Das Exemplar des Manifests, das nicht ermittelt ist, liegt dem Brief nicht mehr bei..
Kunst zu schätzen und zu ehren,
Willst Du Deine Brüder lehren,
Dafür schulde ich Dir, Frank,
Und wir alle unsern Dank.
Aber sonst ist bei uns allen
Nichts besondres vorgefallen,
Außer daß zwei schöne Damen
Mit der Bahn von .... kamen.
Dir die eine zu beschreiben
Laß ich ungeschrieben bleiben.
Doch die andre ....
.... hat sie hergeführt.
Arnold
Hirzel und Karl
Henckell,
Heinrich Zschokkes kluger Enkel,
Armin, TheaThea Henckell, die Schwester von Karl und Gustav Henckell, heiratete 1896 Arnold Hirzel., Gustav, ich,
Alle dachten wir an Dich,
Als uns Gustav, ganz intim,
Plötzlich ein Soupésoupe (frz.): Suppe; souper (frz.) Abendessen. Wedekinds Wortneuschöpfung, das die Schreibweise des ‚soupe‘(ausgesprochen: sup) und die Aussprache des ‚souper‘ (supee) nachahmt, beschreibt ironisch-witzig eine heißgemachte Fertigsuppe, die der Konservenfabrikanten Gustav Henckell „plötzlich“ den Freunden servierte. gegeben.
Gustav Henckell weiß zu leben,
Und es lebt sich gut mit ihm. |
Aber sonst ist bei uns allen
Nichts besondres vorgefallen,
Außer zwei und zwanzig Jahren,
Die wir damals jünger waren.
Möchtest Du Frau Walther Laue
Ganz ergebenst mich empfehlen,
Weil ich weiß, daß Du zur Fraue
Keine bessre konntest wählen.
Meine
Mutter läßt Dich grüßen,
Schwester Mati
grüßt Dich auch,
Und um würdig abzuschließen
Diesen Brief nach altem Brauch,
Trink ich droben in der ...
Viele Schoppen auf Dein Wohl,
Daß der Himmel Dich verschone
Vor zu vielem Alkohol.
Nach dem
Winter mags geschehen,
Daß wir uns beisammen sehen
Froh bei einem feinen Trank.
Drum vergiß nicht
Deinen Frank.