Sehr verehrter Herr Reinhardt!
es war kein glückliches Zusammentreffen, daß ich
am Freitagder 12.2.1909. Wedekind, der Max Reinhardt dem Tagebuch zufolge bereits in der Nacht zuvor am 11.2.1909 in geselliger Runde in München getroffen und diese mit ihm beschlossen hatte („Morgens 6 Uhr fahren wir mit Reinhart nach Hause“), hielt am 12.2.1909 (Freitag) fest: „Abends in der Torggelstube mit Reinhart, Stern, Steinrück und Frau Direktor Häusler. [...] Reinhart löst den Contrakt“ [Tb]. Wedekind notierte dann am 18.2.1909: „Formelle Lösung des Generalvertrages mit Reinhardt.“ [Tb] Damit waren die Ende 1907 begonnenen und 1908 eskalierenden Streitigkeiten zwischen Wedekind und dem Direktor des Deutschen Theaters in Berlin beigelegt. Abend so müde und wohl auch etwas überladen war, daß ich der
Situation nicht mehr bis zum Schluß gerecht werden konnte. Ich glaubte so etwas
verstanden zu haben als wären Sie vielleicht Sonntagder 14.2.1909, an dem Max Reinhardt bereits abgereist war, wie Wedekind nun wusste. Der Direktor des Deutschen Theaters in Berlin war für die „Vorbereitungen zu den Festspielen im Künstlertheater in diesem Sommer“ (das war ein Gastspiel des Berliner Deutschen Theaters im Münchner Künstlertheater unter der Leitung Max Reinhardts) in der Stadt gewesen: „Dieser Tage weilte auch Direktor Max Reinhardt mit einigen Herren seines ‚Generalstabes‘ wieder in München.“ [Das Künstlertheater 1909. In Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 74, 15.2.1909, S. 3] noch hier. Nun wir uns
aber nicht mehr getroffenWedekind hätte Max Reinhardt gerne am 14.2.1909 (Sonntag) nochmals getroffen; er hat ihm brieflich ein Gespräch und somit ein solches Treffen angeboten [vgl. Wedekind an Max Reinhardt, 14.2.1909]., möchte ich Sie doch bitten es mir nicht als
Unhöflichkeit anzurechnen, daß ich so wortlos meiner | Wege ging. Ich that das
nur in dem Bewußtsein, daß ich einem anderen Abschied nicht mehr ganz gewachsen
war.
Zu meinem herzlichen Bedauern sehe ich wie emsig
das B. Tageblatt täglichDas „Berliner Tageblatt“ hatte über Max Reinhardts Vorhaben, Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ zu inszenieren, zunächst am 10.2.1909 einen Bericht publiziert: „Die wagemutige Bühne Max Reinhardts geht jetzt daran, die Fortsetzung von Wedekinds Drama ‚Erdgeist‘, das vor Jahren mit so starkem Erfolg im damals gleichfalls Reinhardtschen Kleinen Theater gespielt wurde, die ‚Büchse der Pandora‘ einzustudieren. Die Strafkammer des Berliner Landgerichts II hatte im Jahre 1905 das Buch zur Einstampfung verurteilt, worauf Wedekind das Werk einer Umarbeitung unterzog. In dieser Form dürfte es nun in den Kammerspielen in Szene gehen. Die Lulu wird wieder von Gertrud Eysoldt gespielt.“ [„Die Büchse der Pandora“ in den Kammerspielen. In: Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 73, 10.2.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2)] Es brachte dann am 13.2.1909 einen weiteren Bericht: „‚Die Büchse der Pandora‘, Frank Wedekinds Drama, das in einer Umarbeitung bekanntlich in den Kammerspielen in Szene gehen soll, wird in den nächsten Tagen der Zensurbehörde auf der Bühne vorgeführt werden. Wie wir hören, will einer wahrscheinlich am Montag stattfindenden Probe der Polizeipräsident beiwohnen. Es ist noch in Erinnerung, daß das Stück in seiner ersten Fassung im Jahre 1905 gerichtlich zur Einstampfung verurteilt wurde. Der Dichter hat ihm darauf eine neue Fassung gegeben.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 38, Nr. 79, 13.2.1909, Morgen-Ausgabe, S. (2)] gegen Ihr Vorhaben mit der B. d. Pandora
hetzt. Dieser Brief hat nicht den Zweck nach dem Stand der Dinge zu fragen, den
ich immer noch früh genug erfahren werde. Ich wollte mich nur bei Ihnen
entschuldigen.
Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
München, 15.2.9.